Ab und an lese ich Worte, die mich tief berühren. So wie gestern. Ein Artikel über eine Frau, die seit 30 Jahren in einem Favela (Slum) in Sao Paulo arbeitet. Nein, arbeiten trifft es nicht. Sie lebt für eine bessere Welt, sie redet nicht darüber, sie tut es.
Sie lebt in einem Haus mit 18 Kindern. Wie viele Quadratmeter hat? Überlege kurz. 18 Kinder, eine Frau. Es sind 40 Quadratmeter. Statt auf Belehrung, Besser-Wissen, Lehrer-Einstellung setzt Ute Cremer auf einen Kreislauf des Guten, auf die Kraft der guten Tat.
Sie denkt nicht von Quartal zu Quartal, sie denkt in Jahrzehnten. Als Walldorf-Lehrerin gründete sie die ersten Kindergärten im Favela.
Sie erlebt viele Rückschläge, ihr Vertrauen wurde nicht immer belohnt, doch sie verlor ihr Vertrauen in die Menschen nicht. Scheitern kennt sie nicht, weil ein Scheitern davon ausgeht, dass es einen Endpunkt gibt. Einen Zeitpunkt, zu dem man weiß, was richtig und falsch ist. Sie schafft Rahmenbedingungen, zu denen sich etwas wundervolles ereignen kann.
Die Bewertung von Situationen in Erfolg, Mißerfolg setzt voraus, dass du heute die Folgen dieser Situation absehen kannst. Eine Illusion. Weise, wer dies erkennt, wie dieser chinesische Bauer.
»Ein chinesischer Bauer hatte ein altes Pferd für die Feldarbeit. Eines Tages lief ihm dieses in die Hügel davon. Die Nachbarn wollten ihn über dieses Unglück hinwegtrösten. Er aber sagte: “Ist’s ein Glück, ist’s ein Unglück? Wer weiss es?” Nach ein paar Wochen kam das durchgebrannte Pferd mit drei wilden Pferden zurück. Jetzt liefen die Nachbarn zusammen und riefen: “Du bist doch ein Glückspilz.” Der Bauer aber sagte: “Ist’s ein Glück, ist’s ein Unglück? Wer weiss es?” Etwas später geschah es, dass sein Sohn, als er eines der wilden Pferde zähmen wollte, zu Boden fiel und sich das Bein brach. Die Nachbarn kamen erneut zusammen und meinten den Bauern trösten zu müssen über diesen Unfall. Doch der Bauer sagte wiederum: “Ist’s ein Glück, ist’s ein Unglück? Wer weiss es?” Bald danach wurde das Land in einen Krieg verwickelt und alle jungen Männer wurden zu den Waffen gerufen. Nur der Sohn des Bauern konnte daheim bleiben. War’s ein Glück, war’s ein Unglück? Wer weiss es?«
Ute Cremer veränderte das Leben von unzähligen Menschen. Sie tat dies nicht durch Belehrungen, Vorschriften, Regeln, Handbücher oder Androhung von Strafe. Wie sie es tut, beschreibt dieses wundervolle Zitat (aus ‚a tempo‘, 2014/11, S. 18–19):
»Menschen verändern sich, wenn wir den Mut aufbringen, sie zu lieben.«
Mehr über ihre Arbeit gibt es hier (http://www.monteazul.de/).