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Willst du anderen helfen, sich zu verändern?

Es gibt zwei Dinge, gegen die kannst du dich kaum wehren. Das eine ist ein Lob. Gegen ein Lob bist du fast machtlos. Das zweite ist die Hilfe. Wenn dir jemand helfen möchte und du die Hilfe nicht annehmen willst, gilt das als undankbar. Hilfe vollzieht sich oft im normativen Rahmen, d. h. ein anderer glaubt zu wissen, was gut für dich wäre.

Treffend von William Isaacs beschrieben (Dialog Als Kunst Gemeinsam Zu Denken. Ed. Humanistische Psychologie, 2002, Seite 133).

»Viele Menschen sind versucht, alles zu ›reparieren‹ oder zu korrigieren, was ihrer Meinung nach mit ihnen, mit anderen und mit der Welt nicht stimmt. Besonders verbreitet ist diese Versuchung, wenn man es mit jemanden zu tun hat, der einen die Wände hochtreibt. Dann sehen wir genau, wie viel besser es wäre – vor allem für uns -, wenn sich diese Person nur anders verhielte.

Aber Ratschläge zur Verbesserung anderer sind nicht unbedingt willkommen. Viele verstehen Veränderung mechanistisch: Die Maschine ist »kaputt«, also muss sie jemand reparieren. Die zentrale Frage ist dann das Wie. Dieses Denken verstärkt die Fragmentierung. Wer mit der Einstellung auftritt: »Hallo, ich will Sie verändern« (oder etwas feiner: »Ich will Ihnen helfen, sich zu verändern«), muss sich nicht wundern, dass die Leute nicht mit ihm zu haben wollen.

Die Frage, die beim Suspendieren gestellt wird, ist eine ganz andere: Wie funktioniert dieses Problem oder diese Situation? Anders gesagt: Welche Kräfte haben dieses Problem so überhaupt produziert?«

William Isaacs

Suspendieren, was für ein Wort. ›Sich zurück nehmen‹ eine mögliche Übersetzung. Nicht sofort die Antwort auf alle Fragen kennen, nicht zu glauben, die Lösung für das Problem zu kennen. Seine eigenen „Gewissheiten“ zu vergessen, interessiert bleiben oder wir Krishnamurti sagt: Lieblingstheorien vergessen.

»Wenn uns dagegen etwas daran liegt, wir wirklich darauf brennen, etwas herauszufinden, dann werden Sie nicht an Ihrer speziellen Lieblingstheorie festhalten und ich nicht an der meinen. Dann wird weder Ihre eigene Erklärung Ihren Durst stillen, noch werden Sie sich mit der meinen zufrieden geben; sondern wir werden zusammenkommen wie zwei Ströme, und mit Überlegung, Entschlossenheit und mit (voller) Absicht die notwendige Kraft aufbringen, die alle Fesseln, alle Hindernisse beiseite fegt, sodass wir klar sehen können.«

Jiddu Krishnamurti

Suspendieren als Teil des systemischen Denkens, so wie es Donella Meadows (Die Grenzen des Denkens, oekom, München, S. 109) beschreibt:

»Begegnet eine im Systemen denkende Person einem Problem, so wird er oder sie zunächst nach Daten, Zeitkurven, nach der Geschichte des Systems suchen. Und zwar deswegen, weil langfristiges Verhalten Hinweise auf die zugrundeliegende Systemstruktur liefert. Und Struktur liefert den Schlüssel nicht nur zum Verständnis dessen, was gerade passiert, sondern auch dazu, warum es passiert.«

Donella Meadows

Neben den oben aufgeführten Fragen kannst du folgende Fragen stellen:

  • Wie ist die Situation entstanden?
  • Warum hat es sich so und nicht anders entwickelt?
  • Welche Auswirkungen hat die Situation?
  • Was hat sich nicht verändert, was wurde ›konserviert‹?
  • Welche Fragen wurde gestellt, welche wurden nicht gestellt?
  • Wie fühlen sich die Beteiligten dabei?
  • Wer sind die Verlierer, wer die Gewinner der Situation?
  • Wer beschreibt was als Problem, wer nicht?
  • Was passiert auf der Sachebene, der sozialen Ebene und wie war es zeitlich?
  • Welche Muster wiederholen sich, gab es Ausnahmen davon?
  • Wie viele Wirklichkeiten gibt es, wer teilt eine Wirklichkeit? Wer nicht?

Diese Vorgehensweise unterscheidet sich von der Lösungsfindung, die wir in der Schule lernen. Dort gibt es eine klare Frage, klare Angaben für die Einflussfaktoren und eine eindeutige Lösung. Ohne richtige Lösung, keine volle Punktzahl. Paradoxien, Widersprüche, … suchen wir vergebens.

Suspendieren führt über das systemische Denken hin zur Erkenntnis, dass es keine Wahrheit (nicht die Wahrheit) gibt. Es gibt keinen Experten, der die Lösung kennt, der helfen kann. Durch das Suspendieren wird eine Einladung ausgesprochen, in einem gemeinsamen Kreationsprozess (Ko-Kreation) eine gemeinsame Landkarte zu erstellen.

»Bei dieser Form von Dialog geht es vor allem darum, voneinander und miteinander zu lernen und unsere Fähigkeit zu verbessern kreativ auf unsere Umwelt zu reagieren. Wenn wir uns ein umfassenderes Bild von der Lage machen, indem wir die unterschiedlichsten Perspektiven mit einbeziehen, erhalten wir Zugang zu einer kollektiven Weisheit, die größer ist als die jedes einzelnen. Das aber setzt voraus, dass wir den Mut, das existentielle Bedürfnis haben, das Feld unserer Wahrnehmung erweitern zu wollen.«

Linda Ellinor

Eine gemeinsam konstruierte Wirklichkeit unterstützt alle beteiligten Personen im eigenen Erkenntnisgewinn. Auf eine respektvolle, auf wirklicher Begegnung basierende Art und Weise!

Viel Spaß beim Suspendieren 🙂