Eine große Frage. Unsere Kultur definiert Liebe als etwas erstrebenswertes, etwas, wofür es sich lohnt zu kämpfen, etwas, wofür Opfer in Kauf genommen werden, etwas, was jeder gerne möchte – geliebt werden. Dann fühlen wir uns wohl. Doch was wird von vom geliebt und warum? Was ist Liebe eigentlich? Was ist keine Liebe?
Frauen und Männer
Ich gebe zu, ein nicht einfaches Thema. Doch ich halte es für elementar, sich mit dem Wesen der Liebe näher zu beschäftigen. Wie viel Leid gibt es bei uns, weil Menschen von Liebe sprechen ohne zu erkennen, dass der andere etwas vollkommen anderes darunter versteht. Umgangssprachlich am meisten bekannt ist folgende Vereinfachung und Verkürzung: Frauen brauchen Liebe, damit sie Sex haben wollen. Männer brauchen Sex, damit sie lieben können. Beide Verkürzungen helfen jedoch kaum bei der Suche nach dem Wesen der Liebe.
Was Liebe nicht ist
Starten wir mit der negativen Abgrenzung, was hier in diesem Beitrag Liebe nicht bedeutet.
- Liebe nicht als triebhaftes Treiben, um der Seele Abwechslung und dem Leib Befriedigung zu verschaffen.
- Liebe nicht als Anerkennung für stundenlanges Verstehen und Zuhören.
- Liebe nicht als Währung für gemeinsam erkannte Wertigkeiten und Weltansichten.
- Liebe nicht hormonelle Störung, die wie eine Krankheit über überfällt – und dann meist ebenso unerklärlich über Nacht verschwindet.
- Liebe nicht als Aufgabe, den anderen so formen zu wollen, wie Mann/Frau ihn gerne hätte.
- Liebe als Pflichterfüllung, um den Erwartungen des Partners, der Eltern, der Familie, der Freunde, der Nachbarn und der Gesellschaft gerecht zu werden.
- Liebe nicht als Tätigsein für den anderen, getreu dem Motto: Bei dem was ich für den Anderen tue, kann es nur Liebe sein. Nein, es kann viele Gründe haben, sich für andere zu „opfern“. Liebe (wie ich sie verstehe) ist es selten.
- Liebe nicht als die Vergeistigung von Gefühlen, als die Interpretation von Schmetterlingen im Bauch.
- Liebe nicht als Vergötterung einer äußeren Form, Anbetung einer getragenen Maske oder als immaterieller Zins für materielle Potenz.
- Liebe nicht als temporäre Form der Glückseligkeit, die anhält, bis der Alltag Einzug hält.
- Liebe nicht als Objektbezug zu einem Menschen, einer Sache, weil sie das Gegenüber zum Ding macht. Dazu Martin Buber:
»Das aber ist die erhabene Schwermut unsres Loses, daß jedes Du in unsrer Welt zum Es werden muß. So ausschließlich gegenwärtig es in der unmittelbaren Beziehung war: sowie sie sich ausgewirkt hat oder vom Mittel durchsetzt worden ist, wird es zum Gegenstand unter Gegenständen, zum vornehmsten etwas, dennoch zu einem von ihnen, in Maß und Grenze gesetzt.« Martin Buber
Liebe transzendiert
Wenn als dies keine Liebe (im Sinne dieses Beitrages) sein soll, was bleibt dann noch? Liebe transzendiert, sie geht weit über die materielle Welt (den Schein) hinaus. Erst in der Wesenswelt kann sie sich entfalten, ihr wahres Gesicht zeigen. die materielle Welt Wunderschön formuliert Martin Buber in ‚Ich und Du‘ das Wesen der Liebe. Und um es vorweg zu nehmen, hier sein zentraler Satz: Liebe ist Verantwortung eines Ich für ein Du.»Gefühle begleiten das metaphysische und metapsychische Faktum der Liebe, aber sie machen es nicht aus; und die Gefühle, die es begleiten, können sehr verschiedener Art sein. Das Gefühl Jesu zum Besessenen ist ein andres als das Gefühl zum Lieblingsjünger; aber die Liebe ist eine. Gefühle werden »gehabt«; die Liebe geschieht. Gefühle wohnen im Menschen; aber der Mensch wohnt in der Liebe. Das ist keine Metapher, sondern die Wirklichkeit: die Liebe haftet dem Ich nicht an, so daß sie das Du nur zum »Inhalt«, zum Gegenstand hätte; sie ist zwischen Ich und Du. Wer dies nicht weiß, mit dem Wesen weiß, kennt die Liebe nicht, ob er auch die Gefühle, die er erlebt, erfährt, genießt und äußert, ihr zurechnen mag. Liebe ist ein welthaftes Wirken. Wer in ihr steht, in ihr schaut, dem lösen sich Menschen aus ihrer Verflochtenheit ins Getriebe; Gute und Böse, Kluge und Törichte, Schöne und Häßliche, einer um den anderen wird ihm wirklich und zum Du, das ist, losgemacht, herausgetreten, einzig und gegenüber wesend; Ausschließlichkeit ersteht wunderbar Mal um Mal – und so kann er wirken, kann helfen, heilen, erziehen, erheben, erlösen. Liebe ist Verantwortung eines Ich für ein Du: hierin besteht, die in keinerlei Gefühl bestehen kann, die Gleichheit aller Liebenden, vom kleinsten bis zum größten und von dem selig Geborgnen, dem sein Leben eines geliebten Menschen beschlossen ist, zu dem lebelang ans Kreuz der Welt Geschlagnen, der das Ungeheure vermag und wagt: ‚die Menschen‘ zu lieben.«Liebe ist kein Gefühl, verliebt sein ist ein Gefühl. Alleine das Wissen um diese kleine Unterscheidung, hätte mir viel Ärger erspart. 🙂 Marin Buber weiter:
»Solange die Liebe »blind« ist, das heißt: solang sie nicht ein ‚ganzes Wesen‘ sieht, steht sie noch nicht wahrhaft unter dem Grundwort der Beziehung. Der Haß bleibt seiner Natur nach blind; nur einen Teil eines Wesens kann man hassen. Wer ein ganzes Wesen sieht und es ablehnen muß, ist nicht mehr im Reich des Hasses, sondern in dem der menschhaften Einschränkung des Dusagenkönnens. Daß dem Menschen widerfährt, zu seinem menschlichen Gegenüber das Grundwort, das stets eine Bejahung des angesprochenen Wesens einschließt, nicht sprechen zu können, entweder den anderen oder sich selbst ablehnen zu müssen: das ist die Schranke, an der das In-Beziehung-treten seine Relativität erkennt und die erst mit dieser aufgehoben wird. Doch der unmittelbar Hassende ist der Beziehung näher als der Lieb- und Haßlose.«Und schließlich:
»Das aber ist die erhabene Schwermut unsres Loses, daß jedes Du in unsrer Welt zum Es werden muß. So ausschließlich gegenwärtig es in der unmittelbaren Beziehung war: sowie sie sich ausgewirkt hat oder vom Mittel durchsetzt worden ist, wird es zum Gegenstand unter Gegenständen, zum vornehmsten etwas, dennoch zu einem von ihnen, in Maß und Grenze gesetzt.«Dies erinnert mich sehr stark an diese Worte von Rainer Maria Rilke, (Lied):
»Sieh dir die Liebenden an, wenn erst das Bekennen begann, wie bald sie lügen.«Und die Moral von der Geschichte? Anfänger-Geist, Nicht-Wollen, Achtsamkeit, das Leben jeden Augenblick neu erfahren, im Du das Ich sehen. Jede Beziehung immer wieder neu gestalten, ohne Erwartungen, vergesse die Erfahrungen, vergesse die Ansprüche, sieh‘ den Menschen in seiner Ganzheit, nehme dich selbst in deiner Ganzheit wahr und an.