Was bedeutet Aufklärung heute?

Vor ein paar Tagen war Aufklärung und Kant hier ein Thema. Zu Zeiten von Kant erschienen in Deutschland 2.600 Bücher, besuchten 7.000 Menschen eine Universität, waren 80 % Analphabeten, die Staatsform war absolutistisch und das Wissensregime nicht demokratisch (Quelle: Harald Welzer, Selbst denken).

Heute, über 200 Jahre nach Kant haben wir sehr, sehr, sehr viele Daten auf Knopfdruck zur Verfügung, um uns aus unserer selbstverschuldeten Unmündigkeit zu befreien.

Als Beispiel:

  • Ca. 100.000 neue Bücher pro Jahr
  • Ca. 2.500.000 Millionen Studenten (2011)
  • Ca. 4 % Analphabeten (2011)

Doch leider sind es dann so viele Daten, dass wir in diesen ertrinken. Wir erkennen nur schwer, welche Daten wichtig sind, welche Daten neu sind, welchen Daten wir vertrauen können. Dann geben wir auf. Wir hören auf Dritte, denen wir das Wissen zuschreiben. Wir lesen Bewertungen von anderen Benutzern, wir lesen Testberichte in Fachzeitschriften, wir prüfen zahllose Alternativen …

Harald Welzer schreibt es auf den Punkt:
„Und die Selbstaufklärung muss sich gegen eine mediale Benutzeroberfläche durchsetzen, die so dicht gewoben ist wie nie zuvor – was bedeutet, dass es noch nie so leicht war, sich mit Wissen zu versorgen wie heute, und noch nie so schwer, sich in der scheinbaren Unterschiedslosigkeit unendlich verfügbarer Informationen zurechtzufinden.

Aufklärung bedeutet heute: Gewinnung von Unterscheidungsvermögen.

Und vor allem: Selbstaufklärung muss sich gegen die allgegenwärtige konsumistische Verführung durchsetzen, indem sie darauf beharrte, dass es nicht schon automatisch Sinn macht, alles haben zu wollen, nur weil man alles haben kann.“

Wir geben unseren Verstand den SMART-Phones. Für alles gibt es dort eine App.

  • Wie geht es mir heute? Das sagt dir Mr. Mood.
  • Was du einkaufen darfst, um ein gutes Gewissen zu haben sagt Dir „das ist-drin Foodtracker„.
  • Wer deine Freunde sind, sagt dir Facebook und Twitter
  • Sogar ob du gut geschlafen hast, sagt dir nun eine App „Sleep cycle„.
  • Welches Buch du jetzt lesen solltest, sagt dir iTunes oder Amazon.

Und mit jeder App denken wir weniger. Fühlen wir weniger, verlieren wir den Kontakt zu unseren eigenen Bedürfnissen, Empfindungen, Wünschen. Unser Körper wird uns fremd, wir entfremden uns. Welche Szenarien spielen sich wohl ab, wenn wir im Urlaub feststellen, dass wir das Smartphone vergessen haben?

Wie wäre es mit einem Urlaub, 2 Wochen ohne Smartphone?