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Läufst du vor dir selbst weg?

Du hetzt durch dein Leben. Nutzt jede freie Sekunde, um über dein Smartphone mit der Welt in Kontakt zu sein. Du bist produktiv, weil du selbst vor dem Schlafengehen noch geschäftliche Nachrichten liest. Ein guter Tag endet für dich spät, erschlagen fällst du ins Bett. Erfolgreich hast du jegliche Ruhe und Langeweile aus deinem Leben verdrängt. Dein Tag folgt dem Druck, den du dir selbst auferlegt hast.

Quintessenz

  • Ruhe bezeichnen wir als Langeweile
  • Langeweile ist ein Kind der Zeit
  • Langeweile zeigt unsere Bedeutungslosigkeit in der Zeit auf
  • Langeweile bringt unser Wertesystem zu Fall
  • viele sind Meister in der Erfindung von Abwehrmassnahmen gegen die Ruhe
  • durch die Unruhe laufen wir vor uns selbst weg
  • dabei liegt in der Ruhe deine eigene Weisheit
  • doch Ruhe zu ertragen lernen wir nirgends
  • dabei liegt in der Ruhe dein unendliches Potential

Hältst Du Dich selbst aus?

Ruhe. Stille. Keine Ablenkung. Kein Telefon. Kein Internet. Keine Menschen. Keine Zeitschriften. Keine Bücher. Kein putzen. Kein kochen. Kein duschen. Nur du.

Plötzlich verwandelt sich die Ruhe in Unruhe. Fast unerträgliche Unruhe. Du spürst die Gefahr. Sie ergreift deine Gedanken, lässt sie erzittern. Sofort greifen Abwehrmassnahmen, du benennst diesen Zustand mit ›Langeweile‹. Zur Unterstützung kommen die Bewertungen: Vergeudete Zeit, unproduktive Zeit, sinnlose Zeit …

Warum meiden wir die Langeweile?

Langeweile und Zeit sind eng miteinander verknüpft. Die Langeweile ist die Stimme der Zeit. Joseph Brodsky nannte Langeweile das Fenster auf die Unendlichkeit der Zeit. Dieses Fenster zeigt deine eigene Bedeutungslosigkeit aus Sicht der Zeit.

»“Du bist endlich“, sagt Ihnen die Stimme der Zeit, „und was immer du tust ist von meinem Standpunkt aus nichtig.“ Denn Langeweile ist ein Eindringen der Zeit in Ihr Wertesystem.«

~ Joseph Brodsky, Lob der Langeweile

Gleichzeitig beginnt in der Langeweile der Druck abzufallen, den du dir selbst auferlegt hast. Und da du fortwährend unter Druck funktionierst, beginnst du dich unwohl zu fühlen. Du verwechselst die Langeweile mit dir selbst. Du meinst: DU bist langweilig.

Was Nichtstun im Gehirn auslöst

Messungen der Hirnaktivität wurden während einer Aktivität (Sehen, …) gemessen und mit der Hirnaktivität während des Nichtstun verglichen. Während des Nichtstun findet im Stirnhirn eine stärkere Aktivität statt. Dort sind die Regionen und Zentren im Gehirn, die für die Persönlichkeit und Persönlichkeitssteuerung und die allgemeine Orientierung eine große Rolle einnehmen.

Du kennst das Sprichwort: „In der Ruhe liegt die Kraft!“

Kennst Du Deine Abwehrmassnahmen?

Dir fallen auf einmal Aufgaben ein, die zwar seit einigen Tagen warten, doch jetzt unverzüglich angegangen werden wollen. Die Wohnung putzen, die Steuererklärung machen, die Familie anrufen. Kreativ bringen deine Gedanken viele mögliche Ausweichmanöver zum Vorschein. Guten Gewissens beendest du deine Unruhe, beendest die Ruhe.

Du rennst vor dir selbst weg. Du fliehst vor dir selbst. Sie läufst vor deiner Angst und deinen Schuldgefühlen davon, gehst Konflikten aus dem Weg.

Das gelingt dir zwar nicht, den das wovor du fliehst ist in dir. Du nimmst alles mit. Aber durch die Bewegung bemerkst du es nicht. Bist du süchtig nach Beschäftigung? Jeden Tag verbringst du die Zeit mit kleinen Kieselsteinen, kleine Aufgaben, kleine Beschäftigungen.

Zwischen Arbeit und Konsum (dazu gehört auch der Konsum von Informationen) verstreicht deine Lebenszeit. Es freut die Wirtschaft und die Datensammler. Du wirst berechenbarer, manipulierbarer und lieferst einen maximalen Beitrag zum Gewinn der Konzerne.

Aus dem Dàodéjīng:

»Wenn du dich hin und her werfen lässt,
verlierst du deine Wurzeln.
Wenn du dich ruhelos treiben lässt,
verlierst du dich selbst.«

~ Lǎozǐ, Dàodéjīng, Kapitel 26 (nach Mitchell)

Eine Brücke für die nächste Langeweile

Die nächste Langeweile kommt bestimmt. Und vielleicht ist in diesem Augenblick dein Mobiltelefon nicht greifbar, Facebook offline …

Du könntest etwas völlig Altmodisches probieren. Du könntest zuhören. Nein, nicht nur einfach so, sondern wirklich mit voller Aufmerksamkeit, ohne zu bewerten, zu verurteilen, zu antworten. So ganz profan: Zuhören.

Bist du dann alleine: Höre dir selbst zu. Deinen Gedanken. Bist du in Gesellschaft: Höre anderen zu. Bist du in der Natur: Höre dem Wind, dem Wasser, den Blättern zu.

In der Ruhe wartet etwas auf Dich

Wenn du es schaffst, dir selbst zuzuhören. Dann erhältst du Antworten auf deine Fragen an dein Leben. Du erfährst mehr über dich, als es dir 20 Seminare und 50 Selbsthilfebücher verraten können. Du bekommst antworten auf deine Bedürfnisse, Wünsche, Sehnsüchte und den Sinn von allem. Die Antwort könnte deinem Leben Richtung geben. Deine Richtung, nicht die Richtung, die dir andere gerne geben.

Doch beachte, die Ruhe oder Langeweile ist kein Wunschkonzert. Sie braucht Zeit, Geduld, Gelassenheit. Sie ist wie ein scheues Reh, sie zeigt sich erst nach und nach.

Langeweile als Potenzialquelle

Mit diesen Antworten verwandelt sich dein Sein. Verwandelt sich dein Blick auf die Welt, verwandelt sich dein Tätigsein in der Welt. Mit der Annahme der Langeweile zieht sich die Langeweile zurück. Sie kommt seltener, weil die Antworten dein tiefstes Selbst berührt haben. Dein Blick auf dich selbst und auf die Welt wandelt sich. Du entdeckst eine unbekannte Energie in deinem Leben. Du hörst auf vor dir selbst wegzulaufen und erfindest dich selbst neu.

Es ist für mich immer wieder erstaunlich wie schön und wie kurz manche Dinge gesagt werden können.

»Wer unruhig ist, vollbringt nichts; wer etwas vollbringt, kennt keine Unruhe.«

~ Feng Meng Long

Abschlussfragen

Was tust du, um der Langeweile auszuweichen? Wie viel Ruhe kannst Du aushalten? Würdest du gerne deine Potenzialquelle ergründen?