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Sind „friends with benefits“ besser als eine Ehe?

Lucie Machac interviewt den Psychoanalytiker Peter Schneider. Und es beginnt gleich mit einer (für Schweizer Verhältnisse) harschen Antwort:

»Lucie Machac: Herr Schneider, wo orten Sie als Psychoanalytiker die grössten Ängste von uns Schweizern?
Peter Schneider: Mit Verlaub, aber mit der Formulierung «wir Schweizer» kann ich nichts anfangen.«

Und erläutert seine Sichtweise:

»PS: „Wir Schweizer“ bestehen aus völlig unterschiedlichen Interessengruppen, die sich auch immer wieder anders bilden und umstrukturieren. Uns alle besorgt etwas sehr Unterschiedliches.

Sachlich und in klarer Sprache geht auf Veränderungen in unserer Gesellschaft ein. Es geht um die Suche nach dem ewig besseren, das Sterben, die Identität, um Konsum und Ersatzbefriedigungen, um Mingles (!) und um Friends with benefits im Vergleich zur Ehe:

PS: »Ah, Sie meinen Freunde mit gewissen Vorzügen. Wenn man einen guten Freund hat, mit dem man auch noch schläft, ist das doch okay.
LM: Es kommt darauf an, ob beide von denselben Voraussetzungen ausgehen. Offenbar hat der Mingle ein Beziehungsproblem.
PS: Man könnte auch sagen, viele Ehen haben ein Beziehungsproblem.«

Er verweist seine eigene Profession in einen menschlichen Kontext, indem er antwortet:

»LM: Unter Psychologen herrscht allgemein die Auffassung, dass man nur in einer stabilen Paarbeziehung Erfüllung und Intimität findet.
PS: Ich bezweifle das. In der Psychologie gibt es die Tendenz zu sagen: Der Mensch ist so und so, und er braucht zu seinem Glück genau dies und das. Es gibt aber keine solchen Konstanten, auf die man alles zurückführen kann.«

Das Interview wird dann erstaunlich direkt und ehrlich:

»LM: Soll ich auch ehrlich sein?
PS: Bitte.
LM: Seit einer halben Stunde versuchen Sie vor allem, keine klaren Aussagen zu machen.PS: So schlimm ist es nicht. Aber ­globale Rundum-Zeitgeistdia­gnosen gehören nicht zu meinem Spezialgebiet.«


Hier scheinen der Interviewer und der Interviewte vollständige andere Erwartungen an das Gespräch zu haben. Der Interviewer will klare Antworten, will aktuelle Probleme mit Labels auszeichnen und am besten kluge Ratschläge hören und veröffentlichen. Peter Schneider lehnt genau dieses Oberlehrerhafte („ich weiss, wie die Welt tickt“) ab und antwortet sehr „systematisch“ und reflektiert.

Am meisten mag ich diese Aussage von Peter Schweizer, sie bringt vieles in unserer Kultur auf den Punkt:

»Man optimiert sich ja primär für die Anerkennung von anderen. Sei es mit Make-up, mit Sport und Diäten, mit Coachings oder sogar Therapien. Man kann sich aber so sehr selbst optimieren, dass man für genau den Zweck, für den man sich optimiert, nicht mehr brauchbar ist. Ein Beispiel: Sie arbeiten an sich, weil Sie einen Partner finden wollen. Aber dann können Sie beim Candle-Light-Dinner keine Kohlenhydrate ­essen, beim Sex sind Sie zurückhaltend, weil sonst Ihr Make-up verschmiert, oder es kommt gar nicht erst so weit, weil der An­wärter nicht genau dem Typ ­entspricht, den man Ihnenin der Therapie als den optimalen Partner empfohlen hat. Sie werkeln also ständig Ihrem Glück entgegen, doch am Schluss sind Sie so perfekt, dass Ihnen diefür die Leidenschaft nötige ­Mischung aus der Lust am Fressen, Saufen, Vögeln abhandenkommt.«

So entzaubert er den Begriff der Ersatzbefriedigung, den unsere Kultur negativ belegt:

»Ersatzbefriedigung ist auch ein Begriff, mit dem ich Mühe habe. Was wäre denn die echte Befriedigung? Ist Ihr Weisswein jetzt eine Ersatzbefriedigung? Und für was? Für fehlende Muttermilch, Rotwein, Glück?«

Einfach lesen (hier geht es zum Interview). Nur geeignet für Menschen, die mit sowohl-als-auch und weder-noch Antworten leben können. Klare, einfache Lebens-rat-Schläge gibt es hier nicht!

Wer dann doch noch eine Weisheit lesen möchte, dann empfehle ich diese Aussage:

»LM: Woran sollen wir uns im Leben orientieren, wenn nicht an der Idee von einem Original?
PS: Zum Beispiel an der Vorstellung, dass man im Hier und Jetzt lebt und das Hier und Jetzt von morgen nicht das von heute sein wird. […] Denn erst der Verzicht auf ein absolutes Vorbild für alles eröffnet uns die Möglichkeit für neue Erfahrungen, die nicht immer nur ein Abklatsch von alten Erfahrungen, sprich vom vermeintlichen Original sind.«


Hier der Link zum Original-Artikel 😀.

Abschlussfrage

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