Wegwerfgesellschaft. Wir kaufen, benutzen und werfen es weg. Langlebige Güter sind langweilig, Reparaturen zu umständlich, zu teuer. Billige Produkte attraktiv. Wir kennen von all den Dingen den Preis, von wenigen den Wert. Welch ein Gegensatz dazu stellt das japanische Prinzip ›Schönheit im Gebrauch‹ dar.
Kurzer Originalauszug aus der Neue Züricher Zeitung:
»Das Verständnis von «Schönheit im Gebrauch» (yô no bi) ist auch Grund dafür, warum in Japan Gebrauchsspuren oder mit Goldlack reparierte Bruchstellen (kintsugi) ein Objekt bisweilen noch wertvoller machen. Die Patina der Abnutzung entspricht japanischem Schönheitsempfinden. Zu diesem zählt auch die Wertschätzung des Asymmetrischen und manchmal Sperrig-Spröden. Hinzu kommt eine Vorliebe für die Spuren der Herstellung: Das Spiel des Zufalls, das durch die unberechenbaren Kräfte des Feuers beim Holzofenbrand entsteht, ist oft wichtiger Bestandteil der Gestaltung. So gelten etwa durch Ascheanflug spontan entstandene Glasuren als Ausdruck kunstvoller Natürlichkeit.«
Schönheit im Gebrauch, das Gegenteil unserer aktuellen Werbung. Diese sagt:
- Schönheit im Neuen,
- Schönheit im Jugendlichen,
- Schönheit des Makellosen,
- Schönheit im Angepassten
Alles muss perfekt sein, ohne Gebrauchsspuren.
Keine Gebrauchsspuren bitte
Das fängt beim Menschen an, der sollte jung, dynamisch, gut aussehend sein. Gebrauchsspuren des Lebens sind unerwünscht, diese führen zur Abwertung oder gelten als ein Zeichen von einem kurz bevorstehenden Ende – dem Tod. So findet vieles Gebrauchte schnell seinen Weg in den Müll. Ja, wir kaufen es nur noch für den kurzen Gebrauch. Noch schlimmer, viele produzieren absichtlich nur noch für den kurzen Gebrauch (die Wissenschaft nennt dies: geplante Obsoleszenz).
»Ein Reisender ritt mit seinem Pferd seit Tagen durch den Wald. Um die Mittagszeit kam er an einem alten Haus vorbei. Er war hungrig und durstig und klopfte an. Ein alter Mann öffnete die Türe. Seinem Wunsch nach einer kurzen Rast und etwas zu Essen und zu Trinken wurde gewährt. Am Ende des Mahls goss die Frau des alten Mannes Tee für den Gast in eine Teetasse. Der Reisende bewunderte die wunderbare alte Teekanne, er sah in ihr die jahrelangen Gebrauchsspuren, ihren täglichen Einsatz für guten Tee. Er verliebte sich in diese alte Teekanne und bot dem Ehepaar sofort großzügig eine hohe Summe für die alte Teekanne. Für das alte Paar war es nur eine Teekanne gewesen und gerne gaben sie dem Reisenden die Teekanne. Er bat sie noch die Teekanne aufzubewahren, bis er von seiner Reise wieder zurück sei. Dies würde in ein paar Tagen sein. So ritt der Reisende weiter, die Teekanne blieb bei dem alten Paar.
Da schauten sich die Frau und der Mann die Teekanne genauer an. Sie wollten verstehen, warum der Reisende so viel Geld dafür bezahlt hatte. Sie konnten nichts auffälliges an der alten Teekanne finden. Doch sie empfanden sie als schmutzig und entschlossen sich, die Teekanne gründlich zu reinigen, damit der Reisende eine fast neue Teekanne mitnehmen konnte. Mehrere Stunden rieben, schrubbten und reinigten sie die Teekanne von allen Seiten. Am Ende glänzte sie wie neu. Die beiden waren sehr stolz auf die Teekanne.
Als nach mehreren Tagen kam der Reisende zurück, um die Teekanne mitzunehmen. Als er die Teekanne sah, war er sehr enttäuscht. Er erkannte die Teekanne nicht wieder. Sie hatte ihren Zauber verloren und war austauschbar geworden. Tief bedrückt über den verlorenen Zauber schenkte er die Teekanne dem alten Paar und ritt nach Hause.«
Aus China
Identität, Einzigartig durch Schönheit im Gebrauch
Schönheit im Gebrauch (auch japanisch wabi sabi 侘寂) schafft Identität, Einzigartigkeit, Verbundenheit und Meisterschaft. Ein Leben mit ›Makeln‹, und ein jeder hat aus Sicht der anderen einen Makel. Oder auf der anderen Seite, keiner hat einen Makel – jeder ist, wie er ist. Es gibt nichts wegzunehmen oder hinzuzufügen. Hierzu passt die Diskussion über genetische Anpassungen von Embryos – auch hier gilt es das Neue, das Makellose zu schaffen, das ewig Perfekte.
Eine wundervolle Geschichte:
»Es war einmal eine alte Frau, die zwei Krüge besaß, mit denen sie täglich Wasser vom Fluss holte. Einer der Krüge hatte einen Sprung, während der andere makellos war. Am Ende des langen Weges vom Fluss bis zum Haus war der kaputte Krug jedoch nur noch halb voll. So brachte die alte Frau täglich nur anderthalb Krüge Wasser nach Hause. Der makellose Krug war stolz auf seine Leistung, während sich der andere Krug aufgrund seines Makels schämte.
Nach zwei Jahren sprach der kaputte Krug zur Frau:
„Ich schäme mich so wegen meines Sprungs, aus dem ständig Wasser läuft.“Die alte Frau lächelte:
„Ist dir aufgefallen, dass auf deiner Seite des Weges Blumen blühen und auf der anderen nicht? Ich habe auf deiner Seite des Pfades Blumensamen gesät, weil ich mir deines Makels bewusst war. Zwei Jahre lang konnte ich diese wunderschönen Blumen pflücken, den Tisch damit schmücken und mich daran erfreuen. Wenn du nicht genauso wärst, wie du bist, würde diese Schönheit nicht existieren.«
Zufriedenheit schafft kein Konsum
Perfekt sein, eine Illusion, der wir nacheifern, obwohl wir es bereits sind – jeder auf seine eigene Art und Weise. Nicht im gesellschaftlichen geforderten Sinn, sondern im menschlichen Sein. Doch wenn jeder mit sich zufrieden wäre, wäre die Beeinflussung des Menschen sehr viel schwieriger. Unzufriedene Menschen sind leichter beeinflussbar, sie sehnen sich nach etwas. Böse Zungen würden sagen, dass man nur noch das Wünschenswerte intelligent vorgeben muss und automatisch zeigen sich Wege der Steuerung von Gesellschaften auf.
Schönheit im Gebrauch, ein Schreckgespenst für den Kapitalismus. Wer soll all die neuen Dinge kaufen, die in den Warenhäuser und Internetshops auf Abnehmer warten? Kauft Leute, kauft ein. Stärkt die Konjunktur, stärkt die Wirtschaft. Kauft ein, auch wenn ihr dieses Ding schon besitzt, oder nicht braucht oder kein Geld habt (oder alles drei zusammen). Die Konjunktur will gefüttert werden, will neue Geldopfer. Schließlich geht es dir nur mit Konsum gut, also kannst du ein dabei reines Gewissen haben. Du tust etwas für die Konsumgesellschaft.
Nur verschuldete Konsumenten sind brave Bürger
Der Konjunktur liebstes Kind ist schließlich die Wegwerfgesellschaft. Langfristig wäre es dann von Vorteil, wenn du so kaufst, dass du in eine Schuldenspirale gelangst, dann bist du noch leichter steuerbar. Schließlich will der Kredit getilgt werden – und neue Wünsche stehen schon wieder an – also nimm neue Kredite auf, solange die Konjunktur läuft, ist alles kein Problem. Kauft Leute, kauft ein, die Konjunktur dankt es euch.
Und falls du nicht mehr weist, wohin mit den ganzen Dingen, gib es doch Organisationen, die „gutes“ damit tun. Deine Kleider zum Beispiel. Auf das diese in ärmeren Ländern die Textilwirtschaft zerstören oder für gutes Geld dort verkauft werden.
Abschlussfrage
Schönheit im Gebrauch, wer braucht das schon?