In der Entwicklung des Menschen war das Schritttempo seine natürliche Höchstgeschwindigkeit. Im Takt seiner Füße erfasste er seine Umwelt. Er spürte die Erde beim Gehen, spürte die Verbundenheit. Erst vor kurzem begann der Mensch seine Taktung zu erhöhen. Eisenbahn, Auto, Flugzeug, Raketen und Internet lassen Raum und Zeit schwinden. Die Beschleunigung des Lebens hält in viele Lebensbereiche einzug. Habst du deshalb mehr Zeit?
Ein aufschlussreicher Podcast über Geschwindigkeit, Zeit und Entschleunigung gibt es beim SWR (siehe hier). Dort gibt es auch ein Manuskript davon.
Prof. Knoflacher von der Uni Wien zeigt am Beispiel des Verkehrs verständlich auf, warum die Erhöhung der Geschwindigkeit nicht zu mehr freier Zeit führt. Im Gegenteil, er erläutert systemisch die Abhängigkeiten und Folgen einer Beschleunigung. Dabei hat er in der Praxis seine Ideen zur Entschleunigung erfolgreich umgesetzt.
Kurz dargestellt beschreibt er, dass mit Erhöhung der maximalen Geschwindigkeit (breitere Autobahnen usw.) die Zeit für Mobilität gleich bleibt, jedoch die zurückgelegte Entfernung steigt. Somit gewinnt der einzelne keine Zeit, sondern verbringt sie nun nicht mehr zu Fuß, sondern im Auto (oder im Stau). Dadurch werden jedoch die lokalen Infrastrukturen geschwächt, weil Kaufkraft in die Einkaufszentren abwandert. Dies vernichtet wiederum lokale Arbeitsplätze, was die Reisetätigkeit der Menschen weiter erhöht. Die Lebensqualität sinkt.
Und wie im Verkehr, so suchen wir oft nach schnelleren Rechnern, neue Software, besseren Kameras, leistungsfähigeren Handys; um dann festzustellen, dass wir keine Zeit gewinnen, sondern im besten Fall gleich viel Zeit für die Tätigkeit einsetzen (jedoch mehr Geld dafür ausgegeben haben). Wir kennen unsere Gegenstände auch weniger, nutzen die Funktionsfähigkeit nur zu einem geringen Teil. Kennst du jemanden, der seine Fotokamera wirklich zu 100 % beherrscht – oder seine Software?
Es geht also darum nicht immer dem neusten Produkt hinterher zu laufen, sondern das bestehende zu nutzen. Erst wenn du mit dem bestehenden an die Grenzen gestoßen bist (nicht gefühlt, sondern wirklich), dann überlege dir, wie viel Zeit du wirklich sparen würdest, wenn das Neue in dein Leben kommt – und wie viel Zeit du für Auswahl, Kauf, Einarbeitung brauchst.
Goethe soll gesagt haben (Erinnerungen):
»Willst du immer weiter schweifen?
Sieh, das Gute liegt so nah.
Lerne nur das Glück ergreifen,
Denn das Glück ist immer da.«