»Das Klagen darüber hilft nur nichts. Denn wer das, was er tut, nicht nach Wichtigem und Unwichtigem sortiert, der legt sich selber lahm. Wer keine Prioritäten setzt, kommt schnurstracks in Kalamitäten. Es ist ja einerseits schön für die Menschheit, dass sich das von ihr produzierte, via digitale Medien zugängliche Wissen alle fünf Jahre verdoppelt. Andererseits ist aber in dieser Feststellung der geistige Insolvenzantrag fest eingebaut. Denn nichts und niemand ist in der Lage, diese Menge ungeordnet und ungereiht für sich und seine Organisation und Ziele zu nutzen. Deshalb ist Relevanz ein Schlüsselbegriff der Wissensgesellschaft. Wer danach fragt, was wichtig ist, was relevant ist, der redet gleichzeitig auch immer davon, eine Übersicht zu schaffen und Unterschiede deutlich zu machen. Relevanz heißt auch immer: Vergleichen.«
Auszug aus brand eins 03/2012, Artikel „Hauptsachen und Nebenwege“,von Wolf Lotter
Der Autor enttarnt die Lüge. Nicht das Wissen verdoppelt sich alle 5 Jahre, sondern die Menge an verfügbaren Informationen. Wir schaffen uns damit Möglichkeiten der Wissensgenerierung, aber wir generieren weniger Wissen und beschäftigen uns immer länger mit Informationen. Und dann passiert das gleiche wie beim Konsum. Beim Konsum haben wir zwar 10.000 Lieder als MP3, doch haben wir diese eher als Möglichkeitsräume (wenn ich mal Mozart hören möchte), der Konsum an sich, das Hören, findet kaum mehr statt.
So reicht es uns heute zu wissen, wo etwas stehen könnte. Und gleichzeitig verlieren wir den Überblick, weil es immer, immer mehr wird.
Und wir haben schon so viele Informationen, dass wir auf unsere Fragen oft widersprüchliche Antworten finden. So wandelt sich die scheinbare Fülle an Informationen zur Wissensgenerierung ins Gegenteil. Wir verlieren uns in den tausenden Quellen, von Link zu Link, von Banalitäten zu wissenschaftlichem Abhandlungen und Erfahrungsberichten … und finden am Ende viele Argumente für und viele Argumente gegen eine Sache. Getreu dem Motto: „Da steh ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor.“ (Faust, Johann Wolfgang von Goethe)
An dieser Stelle kommt die Relevanz ins Spiel. In der Lage zu sein, den Unterschied zu erkennen, die Relevanz für mein Anliegen zu erkennen, Informationen vergleichen zu können, die Quellen zu berücksichtigen, um dann Kalamitäten auszusortieren, dass ist unser Ziel.
Eine Eigenschaft der Informationsverdopplung (5 Jahre oder weniger) ist, dass dieses Wissen ohne persönlichen Kontext zur Verfügung steht. Dies ermöglicht uns einen schnelleren Zugang an mehr Information. Auf der anderen Seite fehlt uns damit der Kontakt zu dem Menschen, der diese Informationen bereit stellt. Und den Wert einer Information machen wir auch an der Person fest, von der wir diese Information erhalten. Fehlt nun diese Person, so fehlt es uns auch an Vertrauen in die Information.
Und es fehlt uns an Beständigkeit der Information. Sie ist nur digital verfügbar, sie kann morgen schon wieder weg sein, sie verliert damit an Wert.
Deshalb gewinnen Vertrauen und Vorhersehbarkeit jeden Tag an Bedeutung. In einer Welt mit steigender Anonymität, in der vieles Ent-Materialisiert wird, z. B. Musik, Literatur, Kunst, Einkaufen, Freundschaften, …, in so einer Welt brauchen wir Vertrauen um so mehr. In einer Welt, in der wir immer mehr tun, die Einheiten des Tuns immer kürzer werden, die Beziehungen, Freundschaften, Arbeitsverhältnisse, brauchen wir Vorhersehbarkeit immer mehr.
Vertrauen und Vorhersehbarkeit sind die Basis von Relevanz.