Du hast sie, setzt sie jeden Tag ein – bewusst oder unbewusst:. Deine Vorurteile. Sie haben sich über deine Lebensjahre eingeschlichen oder wurden dir vom Elternhaus täglich vorgelebt, vorgebetet und mitgegeben. Und über die Zeit hast du sie aus dem Bewusstsein ins Unbewusstsein verdrängt. Nur ab und an, in manchen Momenten wirst du dir deiner Vorurteile bewusst, oder nicht?
Vorurteile sind Teil deiner unbewussten Inkompetenz
Deine Vorurteile (andere Worte: Glaubenssätze, mentale Modelle, Grundannahmen über die Welt, Weltbilder, …) sind deine blinden Flecken. Etwas, dass du gar nicht mehr beachtest und trotzdem deine Realität entscheidend prägt. Sie sind der Splitter vor dem eigenen Auge. Sie sind der Balken, den du beim Anderen siehst.
Und sie sind mächtig, weil du sie so tief in dir vergraben hast, dass du sie gar nicht mehr erkennst. Es ist einfach so, warum weißt du nicht. Du glaubst es einfach. Über die Jahre hast du entsprechende Erfahrungen gesammelt, dass du es als wahr einordnen konntest.
Doch Vorurteile machen dich inkompetent! Du verlierst deinen offenen Blick für die Welt, für die Mitmenschen, für dich selbst. Du schränkst dich selbst ein – und merkst es gar nicht. Es läuft unterhalb deiner bewussten Wahrnehmung ab.
»Ein jeder neigt zu folgendem Denken: Was meiner Meinung entspricht, dem stimme ich zu; was meiner Meinung nicht entspricht, dem widerspreche ich. Diese Meinung, die meiner gleicht, halte ich für richtig; jene Meinung, die sich von meiner unterscheidet, beurteile ich als falsch.«
— Tschuang Tse
Was sind Vorurteile oder mentale Modelle?
Vorurteile sind individuelle Wirklichkeiten, die es Individuen erlauben durch minimalem Energieeinsatz (innerhalb deren Wirklichkeit) mit ihrer Gemeinschaft zu überleben und in ihrer Umwelt zu interagieren. Sie ermöglichen eine Orientierung in der alltäglichen Komplexität und lassen individuelle Vorhersagen zu. Sie sind Grundlage der Beschreibung der individuellen Umwelt. Obwohl sie individuell sind, werden sie meist kollektiv gebildet. Sie erklären das beobachtete Verhalten anderer. Sie ermöglichen die In-Beziehung-Setzung von Elementen der Umwelt (und die Nicht-In-Beziehung-Setzung). Sie führen zur individuellen Herstellung von Unterschieden und sind Grundlage der Entscheidungsfindung. Sie prägen die Art und Weise, was wie warum jemand wahrnimmt und bewertet (oder nicht wahrnimmt und nicht bewertet).
Sie erklären das beobachtete Verhalten anderer. Sie ermöglichen die In-Beziehung-Setzung von Elementen der Umwelt (und die Nicht-In-Beziehung-Setzung). Sie führen zur individuellen Herstellung von Unterschieden und sind Grundlage der Entscheidungsfindung. Sie prägen die Art und Weise, was wie warum jemand wahrnimmt und bewertet (oder nicht wahrnimmt und nicht bewertet).
Das Dumme mit der Selbstverstärkung
Leider verstärken sich Vorurteile mit der Zeit wie von selbst. Weil du mit einer Brille durch das Leben läuft („alle X sind faul“), siehst du nur noch Xe, die faul sind. Du glaubst, damit bestätigt zu sein – du hattest recht. Dass Du die fleissigen Xe nicht mehr wahrnimmst, übersiehst du. Manche nennen es einen Tunnelblick. Ich nenne es den Vorurteilsblick.
Einmal in die Welt gesetzt, verstärken sich Vorurteile wie von selbst und manifestieren sich im Unbewußtsein. Ganz schön fies!
»Jene, die sich selbst nicht wirklich kennen, kritisieren die anderen aus dem Blickwinkel ihres ungebildeten Egos heraus.
Sie bewundern, was ihnen schmeichelt, und hassen, was ihnen nicht ausreichend beipflichtet.
Aufgrund ihrer Vorurteile werden sie schließlich leicht reizbar, zermürbt von Langeweile und gefangen in den Leiden, die sie sich selbst zufügen.«
— Meister Shosan
Die Manipulation durch die Sprache
Nicht nur durch unseren Fokus der Beobachtung und die Erklärung des Beobachteten verfestigen wir die Vorurteile, sondern ebenfalls durch unsere Sprache. Wir geben den Vorurteilen einen Namen. Damit werden Vorurteile geschaffen oder abgemildert. So sprechen wir von Steuer-Flüchtlingen, wenn über Menschen berichtet wird, die illegal Geld aus Deutschland in andere Ländere verschieben, um hier Steuern zu sparen. Flüchtlinge sind jedoch Menschen in Not, die um Leben oder Tod kämpfen. Das passt auf Steuer-Flüchtlinge gar nicht. Selbst Steuer-Sünder verniedlicht den Tatbestand des Steuer-Betrugs oder der Steuer-Hinterziehung.
Verstärkend wird Sprache in die andere Richtung. Wer von Flüchtlingswelle oder vom Flüchtlingsstrom spricht, verstärkt die Vorurteile zu Flüchtlingen. Dabei sind Menschen in Not weder eine Welle noch ein Strom, sie sind keine Naturerscheinungen, sondern Ergebnisse jahrzehntelanger Unterdrückung der Herkunftsländer durch Europa und Amerika. Richtiger Weise sollten wir von Kolonisierungs- und Globalisierungs-Flüchtlingen sprechen, die zu uns kommen, weil wir über Jahrzehnte deren wirtschaftliche, soziale und ökologische Grundlage zerstört haben.
Sprache bezeichnet nicht Objekte, sondern symbolisieren generative Prozesse im Menschen, bei dem den verwendeten Objekten (Flüchtling, Rock, Polen, Frankreich) Eigenschaften zugewiesen werden. Positive oder negative Eigenschaften. Manipulation im großen setzt genau hier an. Sie steuern die Zuweisung der Eigenschaften zu Wörter und die verwendeten Wörter selbst. So werden wir manipuliert und Vorurteile werden geschaffen oder abgemildert. Alles im Wohle deren, die hier manipulieren.
»Selbst Hauptwörter, die Dinge bezeichnen, wie »Tisch« oder »Lampe«, sind irreführend. Sie implizieren, daß wir von festen Substanzen sprechen, obwohl Dinge in Wirklichkeit Energieprozesse sind, die in unserem physischen System bestimmte Empfindungen hervorrufen. Aber diese Empfindungen sind nicht Wahrnehmungen bestimmter Dinge wie eines Tisches oder einer Lampe; unsere Wahrnehmungen sind das Ergebnis eines kulturellen Lernprozesses, der bewirkt, daß gewisse Empfindungen die Form bestimmter Wahrnehmungen annehmen. Wir glauben naiverweise, daß Gegenstände wie Tisch und Lampe als solche existieren, und übersehen dabei, daß uns die Gesellschaft lehrt, koörperliche Empfindungen in Wahrnehmungen umzuwandeln, die uns gestatten, unsere Umwelt (und uns selbst) zu manipulieren, um in der jeweiligen Kultur überleben zu können. Sobald wir solchen Wahrnehmungen einen Namen gegeben haben, scheint dieser deren endgültige und unveränderliche Realität zu garantieren.«
— Erich Fromm
Ist das wirklich so schlimm?
Das hängt davon ab, ob du offen oder eingeschränkt durch dein Leben gehen willst. Wenn du Sicherheit brauchst, keine Veränderungen magst und sich dein Umfeld nicht groß ändert – dann ist es gar nicht so schlimm. Im Gegenteil, dann richte dich gemütlich in deiner Ecke ein und genieße das Leben.
Falls du jedoch die Welt in ihrer Vielfalt magst, Veränderungen für dich zum Alltag gehören (sie vielleicht sogar Freude machen) und du erwartest, dass sich die Welt verändern wird – dann sind Vorurteile hinderlich. Weil sie dir wichtige Möglichkeiten in der Realität verschließen, sie reduzieren deine mögliche Welt maximal.
Mit Vorurteilen glaubst du viel über einen anderen Menschen zu „wissen“, obwohl du ihr gar nicht kennst. Du nimmst den anderen Menschen und steckst ihn dein Vorurteils-Schubladensystem. Meist ohne Chance, da jemals wieder raus zu kommen.
»Wenn wir eines Weges gehen und einem Menschen begegnen, der uns entgegenkam und auch eines Weges ging, kennen wir nur unser Stück, nicht das seine, das seine nämlich erleben wir nur in der Begegnung.«
— Martin Buber
Wir brauchen doch Vorurteile, oder nicht?
Vorurteile sind gemeinschaftliche Weltbilder, über das was sein darf und das was nicht sein darf. Den Vorurteile werden meist gemeinschaftlich gebildet und gepflegt. Das Elternhaus spielt eine große Rolle, ebenso Schule, Freunde und Bekannte.
Das beginnt bei einfachen Dingen. Wer darf in unserer Kultur welche Kleidung tragen. Früher durften Frauen keine Hosen tragen, das war nur Männern erlaubt. Heute dürfen Frauen Hosen tragen! Das Männer Röcke tragen, ist durch ein Vorurteil verboten – obwohl es in unterschiedlichen Kulturen und Zeitepochen anders war und ist. Heute unvorstellbar, dass Frauen keine Hosen tragen durften! Heute unvorstellbar, dass Frauen nicht wählen durften (noch im 20. Jahrhundert in Deutschland). Heute unvorstellbar, dass Männer Röcke tragen?
Ein weiteres Beispiel. Wenn der „normale“ Deutsche an Frankreich denkt, dann ist das meist positiv belegt (Wein, Käse, Lebensart, schöne Sprache …). Der der gleiche Mensch an Polen, so ist dies meist negativer belegt (Diebstahl, Gauner, Betrüger, komische Sprache). Obwohl der „normale“ Deutsche weder in Frankreich, noch in Polen war.
Jede Kultur führt zur Ausbildung von Vorurteilen. Alan Watts nennt dies „societys brainwashing„.
Christliche Vorurteile
Vorurteile prägen ebenfalls unsere christiche Identität, und die beruht bei uns auf „glauben“ – nicht auf persönlicher Erfahrung. Hier ein Zitat über eine andere Perspektive auf die christliche Religion und wie schnell wir erstaunliche Erzählungen für wahr nehmen – wenn sie nur von vielen anderen geteilt wird.
»Die heilige Familie: Eine Schwangerschaft, die nicht körperlich, sondern geistig herbeigeführt wird, eine Mutter, der ein natürliches Sein als Frau nicht zugestanden wird, ein Vater, der als Gottvater entrückt ist, ein Ersatzvater, der wohl zum Unterhalt beiträgt, aber trotz Anwesenheit keine weitere Rolle spielt und ein Sohn, der über seiner weltlichen Mutter und ihrem ebenso weltlichem Lebensgefährten und Ehemann steht und seinem nicht anwesenden Vater im Himmel nachjagt. Ein Fall für die Familientherapie?«
— Unbekannt (falls jemand die Quelle kennt, freue ich mich sehr über eine Nachricht)
Politische Vorurteile
Die bisherigen Beispiele waren individueller Natur. Doch es gibt viele politische Vorurteile. Manche denken, dass der Reichtum in Europa durch den Fleiß und die Kreativität entstanden ist. Sie übersehen, dass wir unseren Reichtum durch die Kolonisierung der halben Welt erbeutet haben. Für unseren Reichtum mussten andere Völker sterben, sie wurden gequält und versklavt. Heute nennen wir es Entwicklungshilfe.
Ein weiteres politisches Vorurteil ist der Hunger in der Welt. Jeden Tag sterben 10.000 Kinder an Unterernährung. Wir halten dies für unvermeidbar (ein Vorurteil), deshalb haben wir uns damit abgefunden. Wir sehen all dies Leid auf der Welt und freuen uns am eigenen Essen. Wir glauben unbewusst, dass wir keinen Unterschied in der Welt machen. Also kümmern wir uns nur um uns.
»Viele Menschen in meiner Generation der heute Über-Vierzigjährigen sowie natürlich auch die vorgängigen Generationen haben noch gelernt, nach festen Glaubenssätzen in Gesellschaft, Religion und Wissenschaft sowie nach klar definierten Moralvorschriften und sozialen Leitlinien zu leben und diese kaum je ernsthaft zu hinterfragen. Wir haben gelernt, dass man mit viel harter Arbeit, mit Gehorsam, Fleiß un Disziplin innerhalb des herrschenden Systems vorankommen und emporkommen kann. Dass dabei die persönlichen Bedürfnisse und die eigene innere Entfaltung mehrheitlich auf der Strecke bleiben, war für die meisten überhaupt kein Thema, ganz zu schweigen vom Bewusstsein des übergeordneten Seelenplanes und der individuellen Bestimmung des Einzelnen.«
— Christina von Dreien
Ja, aber das ist Teil unserer kulturellen Identität!
In diesem Sinne könnten Vorurteile als kondensierte kulturelle Identität betrachtet werden. Eine Kultur legt fest, was wir wie wahrzunehmen und zu bewerten haben. Eine Kultur als gemeinsamer Nenner, um Gemeinsamkeiten zu haben. Daraus könnte gut abgeleitet werden, dass die konkrete Ausprägung der Vorurteile unwichtig ist. Ob nun Polen oder Frankreich, egal, Hauptsache wir haben ein klares Freund-Feind-Bild. Ob Männer oder Frauen Röcke tragen, egal, Hauptsache es ist klar wer was nicht darf.
Damit wäre Kultur beliebig – was sich in unserer deutschen Geschichte in den letzten 100 Jahren leider eindrucksvoll gezeigt hat. Wir waren in der Lage Juden zu hassen und zu töten, weil es Juden waren. Es ist beliebig, weil, sobald wir Vorurteile übernehmen, hinterfragt diese keine mehr. Obwohl sie zu unserem wirklichen Leben nicht passen – und viele fühlen diese Unstimmigkeit auch.
Erich Fromm hat dieses Gefühl der Unstimmigkeit wie folgt formuliert:
»Der moderne Mensch ist sich selbst, seinen Mitmenschen und der Natur entfremdet. Er hat sich in eine Gebrauchsware verwandelt und erlebt seine Lebenskräfte als Kapitalanlage, die ihm unter den jeweils gegebenen Marktbedingungen den gröβtmöglichen Profit einzubringen hat. Die menschlichen Beziehungen sind im wesentlichen die von entfremdeten Automaten. Jeder glaubt sich dann in Sicherheit, wenn er möglichst dicht bei der Herde bleibt und sich in seinem Denken, Fühlen und Handeln nicht von den anderen unterscheidet. Während aber jeder versucht, den übrigen so nahe wie möglich zu sein, bleibt er doch völlig allein und hat ein tiefes Gefühl der Unsicherheit, Angst und Schuld, wie es immer dann entsteht, wenn der Mensch sein Getrenntsein nicht zu überwinden vermag.«
— Erich Fromm
Vorurteile schaffen eine Pseudo-Einheit
Der große Nutzen von Vorurteilen ist, dass er uns mit anderen Menschen verbindet, weil diese die gleichen Vorurteile haben. Grenzen diese Vorurteile einen anderen Menschen oder eine Gruppe aus (negative Abgrenzung), so wirken sie nochmals stärker als positive Abgrenzungen.
Umso größer ist die Angst, selbst ab- und ausgegrenzt zu werden, also selbst Teil der negativen Abgrenzung der anderen zu sein. Diese Angst vor sozialer Isolation macht uns anpassungswillig (Erich Fromm nannte diese Anpassungszwänge). Mit dieser Angst im Nacken, vergessen wir uns selbst und suchen nur noch Schutz in der Herde. Dabei spielt es keine Rolle, wie unmenschlich, unsinnig oder selbstzerstörerisch diese Vorurteile sind, Hauptsache sie erzeugen ein Gefühl der Zugehörigkeit.
»In unserer heutigen Gesellschaft des Westens ist die Gemeinschaft mit der Gruppe der am häufigsten eingeschlagene Weg, die Abgetrenntheit zu überwinden. Es ist eine Vereinigung, in der das individuelle Selbst weitgehend aufgeht und bei der man sich zum Ziel setzt, der Herde anzugehören. Wenn ich so bin wie alle anderen, wenn ich keine Gefühle oder Gedanken habe, die mich von ihnen unterscheiden, wenn ich mich der Gruppe in meinen Gewohnheiten, meiner Kleidung und meinen Ideen anpasse, dann bin ich gerettet – gerettet vor der angsterregenden Erfahrung des Alleinseins.«
— Erich Fromm
Darunter leiden unsere Produktivkräfte (Erich Fromm), also all die Kräfte die zur Entfaltung unseres Selbst, unseres Potenzials unserer Einmaligkeit beitragen. Wir verletzen uns selbst, um Angst zu vermeiden. Wir flüchten in eine Pseudo-Einheit.
Wir spielen uns selbst etwas vor, ohne uns dessen bewusst zu sein. Wir leben in dem Glauben, wir selbst zu sein. Dabei inszenieren wir uns nur – wie die meisten um uns herum – um in einer Pseudo-Wirklichkeit das ersehnte Glück zu finden.
»Der Mensch … ist Leben, dass sich seiner selbst bewußt ist. Er besitzt ein Bewußtsein seiner selbst, seiner Mitmenschen, seiner Vergangenheit und der Möglichkeiten seiner Zukunft. Dieses Bewußtsein seiner selbst als einer eigenständigen Größe, das Gewahrwerden dessen, daß er eine kurze Lebensspanne vor sich hat, daß er ohne seinen Willen geboren wurde und gegen seinen Willen sterben wird, daß er vor denen, die er liebt, sterben wird (oder sie vor ihm), daß er allein und abgesondert und den Kräften der Natur und der Gesellschaft hilflos ausgeliefert ist – all das macht seine abgesonderte, einsame Existenz zu einem unerträglichen Gefängnis. Er würde dem Wahnsinn verfallen, wenn er sich nicht aus diesem Gefängnis befreien könnte – wenn er nicht in irgendeiner Form seine Hände nach anderen Menschen ausstrecken und sich mit der Welt außerhalb seiner selbst vereinigen könnte. Die Erfahrung dieses Abgetrenntseins erregt Angst, ja sie ist tatsächlich die Quelle aller Angst.«
— Erich Fromm
Hier ist das Problem mit Vorurteilen
Vorurteile schränken das eigenständige Denken ein und schalten es teilweise aus. Sie machen abhängig und dumm (wieder einmal). Sie schränken den Handlungsraum ein (nach Polen fahren wir lieber nicht … dann schon eher nach Frankreich). Sie legen einen unsichtbaren Zwang auf (was darf ich anziehen – was nicht).
Vorurteile sind selten aus der eigenen Erfahrung entstanden, sondern vom Hören-Sagen, von Gerüchten, von oft wiederholten Botschaften, von Witzen und Abwertungen. Jeder Mensch will Teil sein und achtet deshalb sehr genau darauf, was seine relevante Gemeinschaft akzeptiert und was nicht.
»Die meisten Menschen sind sich ihres Bedürfnisses nach Konformität nicht einmal bewuβt. Sie leben in der Illusion, sie folgten nur ihren Ideen und Neigungen, sie seien Individualisten, sie seien aufgrund eigenen Denkens zu ihren Meinungen gelangt, und es sei reiner Zufall, daβ sie in ihren Ideen mit der Majorität übereinstimmen. Im Konsensus aller sehen sie den Beweis für die Richtigkeit »ihrer« Ideen.«
— Erich Fromm
Vorurteile machen dumm, weil sie eigene Erfahrungen und Wünsche negieren. Wer einen netten Polen kennt und einen unfreundlichen Franzosen, wird dies als Ausnahme abtun.
Vorurteile machen abhängig und unselbstständig, weil ein Verstoß dagegen, meist mit direkten oder indirekten Sanktionen belegt ist. Oder was würdest du denken, wenn du einen Mann im Rock siehst?
»Sehen heißt nicht glauben. Glauben heißt sehen.
— Eric Butterworth
Du siehst die Dinge nicht so, wie sie sind, sondern wie du bist.«
Unsere Vorurteile machen uns zu willigen Opfern
Dieses Vorurteile: „Ich kann die Welt nicht verändern!“ macht uns zu „braven“ Bürgern. Die ihre eigene Machtlosigkeit verinnerlicht haben. Die wie Schafe der Herde folgen. Solange sie nicht alleine sind, ist alles gut. Der Nachbar tut es auch, also ist es in Ordnung.
Für die Mächtigen in unserer Kultur eine tolle Sache. Ein Volk, welches vergessen hat, dass sie selbst die Macht haben zu gestalten. Während in Frankreich die Bauern die Straßen und Autobahnen sperren, diskutieren wir hier nicht einmal darüber eine Autobahn zu sperren. Undenkbar. Ein Vorurteil. Und falls wir es doch in Erwägung ziehen, so gibt es jemanden, der darauf hinweist, dass es ein Straftatbestand sein könnte und das will keiner. Weil obrigkeitshörig sind wir allemal.
»Kühner, als das Unbekannte zu erforschen, kann es sein, das Bekannte zu bezweifeln. «
— Hans Kaspar
Es ist Zeit seine Vorurteile zu kennen
Wer ein braver Bürger sein möchte, der möge seine bisherigen Vorurteile pflegen und schützen. Wer seine eigene Machtlosigkeit mag und die Verantwortung für SEIN Leben weiter in den Händen von anderen geben möchte, sollte seine Vorurteile weiter pflegen und hegen.
Ab und an gibt es dann einen Krieg, und die Verantwortlichen schicken die braven Bürger ins Schlachtfeld. Offiziell werden diese dann als Helden der Nation bezeichnet. Denkmäler werden ihnen gebaut. Inoffiziell sind es die Deppen der Nation, weil sie als Menschenmaterial betrachtet und als Kanonenfutter verheizt wurden. Sie haben ihr Leben für Machtspiele eine paar weniger Menschen gedankenlos weggeworfen und vergeudet!
Wer ein braver Bürger sein will, der dumm und abhängig gehalten werden will, kommt in den Vorzug von 4 bis 6 Wochen Urlaub oder zu Harz-4 mit ein paar Schikanen.
Wer jedoch SEIN Leben leben möchte, der sollte sich seiner Vorurteile bewusst werden. Und sie verändern. Er könnte nach Polen fahren, er könnte Röcke anziehen. Er weniger einkaufen, um die Lebensmittelverschwendung zu vermeiden. Er könnte anfangen von seiner eigenen Stimme Gebrauch zu machen. Er könnte beginnen selbst zu denken, zu hinterfragen. Dann könnte er anderen Fragen stellen … unabhängig von der Reaktion und dem Verständnis anderer.
»Schließlich handelt es sich um Ihr Leben. Man muss sich selber verstehen lernen, wenn man sein Leben begreifen will; und das eigene Verständnis hängt niemals von der Bestätigung eines anderen ab.«
— Jiddu Krishnamurti
Mache aus deiner unbewussten Inkompetenz eine bewusste Inkompetenz.
- Dein Gehirn scannt die Realität nach bekannten Muster und beurteilt das Wahrgenommene auf Basis der Erfahrungen mit den alten Mustern aus der Vergangenheit und deiner Vorurteile.
- Die Wahrnehmung ist nicht die Realität – die Landkarte ist nicht die Landschaft.
- Wahrnehmung ist selektiv, konstruiert und interpretiert, sie ist niemals objektiv.
- Du siehst die Realität durch einen Filter, wechselt du den Filter, verändert sich deine Wahrnehmung.
- Perspektiven sind eine Möglichkeit von Filtern, wechselst du deine Perspektive, so erlangst du mehr Freiheit im Denken, Fühlen und Handeln.
- Deine Wahrnehmung gezielt in Frage stelle, provozierend, stolperend und irritierend sind mögliche Wege zur wirklichen Leben.
Muss das sein?
Nein, wir leben zwar über unsere Verhältnisse (ökonomisch, ökologisch, sozial und technologisch) und das Ende unserer Zivilisation steht mehr oder weniger vor der Türe. Deshalb muss es nicht sein. Lebe weiter wie bisher, die nächsten Jahre kriegen wir noch irgendwie hin und später sagen wir, dass wir es nicht so genau wussten (wie im Dritten Reich). Ein paar Sündenböcke finden wir dann, die hängen wir und dann geht es weiter.
Klingt sarkastisch, ironisch. Nein, war und ist Realität.
»Ob wir die Welt des Geistes oder die Welt der Materie zur Grundlage unseres Lebens erklären, ist eine Frage des Weltbildes. Das eigene Weltbild zu erfassen, ist allerdings äußerst schwierig, da es all das umfasst, was wir für selbstverständlich halten und niemals wirklich in Frage stellen. Es ist die Grundlage unseres Denkens, Handelns und Fühlens.«
— Natalie Knapp
Fange an zu leben
Höre auf dich wie ein Schaf zu benehmen. Schau in den Spiegel, wenn du dort kein Schaf siehst, sondern einen Menschen, dann fange an deinen Verstand wieder zu gebrauchen. Fange an wieder selbst zu denken. Fange an deine Erfahrungen als Basis für deine Welt zu nehmen. Fange an, dich selbst ernst zu nehmen. Fange an die volle Verantwortung für dein Leben zu übernehmen!
»Anstelle der Hektik,
tritt die Stille und das Schweigen können;anstelle des ausschließlichen Zweck und Zieldenkens,
tritt die Absichtslosigkeit;anstelle des Machtstrebens,
tritt echte Liebesfähigkeit;anstelle des quantitativen Leerlaufs,
tritt das qualitativ geistige Geschehen;anstelle der Manipulation,
tritt das geduldige Gewährenlassen der fügenden Kräfteanstelle des mechanistischen Ordnens, der Organisation,
tritt das ‘In-der-Ordnung-sein’»anstelle der Vorurteile,
tritt der Verzicht auf Werturteile,
also statt Kurzschluß, unsentimentale Toleranz;anstelle dualistischer Gegensätze,
tritt die Transparenz;anstelle der (überaktiven) Handlung,
tritt die (engagierte) Haltung;anstelle des ‘homo faber’,
tritt der ‘homo integer’;anstelle des gespalteten Menschen,
tritt der ganze Mensch;anstelle der Leere der begrenzten Welt,
— Jean Gebser
tritt die offene Weite der offenen Welt.«
Sei du selbst
Es klingt so einfach: Sei du selbst. Lege deine Vorurteile, deine Glaubenssätze auf den Prüfstand, hinterfrage sie. Woher kommen sie? Wem nutzen diese Vorurteile? Wem schaden sie? Wie lebst du ohne sie?
Wenn sie dir nicht wirklich nutzen, lasse sie zurück, tragen sie nicht weiter durch dein Leben.
»Von Geburt an sagt dir jeder, was du denken sollst.
— Seom (Lied: Sei du selbst)
Es war alles gut, solang du deren Grenzen folgst.
Seit dem ersten Tag, sagt man dir, wie man dich gerne hat.
Und so hast du fast vergessen was dein Herz dir sagt.
Du hast dich angepasst, verstellt, maskiert und verborgen
du warst alles auf der Welt, um dem Spiel zu gehorchen,
doch langsam fühlst du, es wird Zeit dich zu zeigen,
die Maske zu verlieren und den Geist zu befreien.
Se du selbst. Zeige dich. Sei du selbst.
Entfalte dich.«
Abschlussfrage
Bist du ein Schaf oder ein Mensch? Schaue in den Spiegel, wenn du dir nicht 100 %ig sicher bist!