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Mit der Krise in die Tiefe?

Krise als Chance zu neuen Bewertungen zu gelangen. Krise als Chance den Status Quo zu hinterfragen. Krise als Chance sich selbst neu zu (er) finden. Darüber lässt es sich leicht schreiben – und so schwer leben.

»Unsere persönlich erlebten und erlittenen Krisen werden von gesellschaftlichen Verhältnissen hervorgebracht, geformt und aufrechterhalten und unsere soziale und kulturelle Umwelt und unsere Vorstellungen von uns selbst beeinflussen uns meist stärker, als wir es uns selbst eingestehen wollen. Die Glaubensbekenntnisse unserer Kultur und die damit verbundenen sozialen und gesellschaftlichen Verfahrensweisen prägen nicht nur unser persönliches Verhalten, sondern auch unsere intimsten Erwartungen, Träume, Hoffnungen, Befürchtungen und natürlich unsere Stimmungen.

Gerade in der Krise ist es notwendig, nicht auf bewährte Vorstellungen, auf die bekannten und überall gegebenen Antworten zurückzugreifen und sich darauf zu verlassen. Wir müssen damit rechnen, dass wir manches davon aufgeben müssen, weil es einfach nicht funktioniert. Wir sollten darauf gefasst sein, von toten Gäulen abzusteigen. Krisen bieten die Chance, bisher gültige und hochgehaltene Werte zu hinterfragen und zu neuen Bewertungen zu gelangen. Abgewertet, weil abgewirtschaftet, haben Heldentum, blindes Festhalten an Hoffnungen, das Ideal der Fehlerlosigkeit, Werte wie Autonomie, Optimismus, Gewissheit, Wissen und Glaubensfestigkeit. Diese Wertvorstellungen haben nicht nur in die Krise geführt, sondern auch zu den weithin beklagten, erlittenen und bekämpften miesen Stimmungen.

Aufzuwerten sind dagegen, weil dringend benötigt, Zustände und Phänomene wie Angst, Trauer, Hoffnungslosigkeit, Pessimismus, Abhängigkeit, Ungewissheit und Ungläubigkeit, Fehlerfreundlichkeit, Scheitern, Verzweiflung und Tod. Ihre Aufwertung kann nicht nur aus der Krise führen, sondern auch zu besserer Stimmung beitragen.«

Arnold Retzer

Ein Auszug aus dem Podcast „Mut zur Negativität“ von Arnold Retzer.

Krisen tun weh, tun so richtig weh. Sie werfen uns aus unserer Denkwelt, aus dem Alltag, aus dem Gewohnten. Sie machen Angst. Angst weil es oft ein Zeichen ist, dass wir mit etwas abschliessen müssen, dass sich etwas neues offenbart hat. Unser Erwartungen an die Zukunft sind auf einmal nicht mehr das, was sie bisher waren. Wir müssen um-denken.

Dieses um-denken hilft uns neue Sichtweisen zu gewinnen, gelebte Werte zu hinterfragen, neue Werte zu leben, Beziehungen abzubrechen, neue Beziehungen zu knüpfen. Krisen holen uns aus unserer Komfortzone, aus dem Wohlfühlsessel. Aus dem wir im Alltag viel zu träge sind auszusteigen, raus in das kalte, unbekannte zu gehen.

Krisen deuten sich manchmal ganz leise an. Wir ahnen sie – doch wollen oder können diese kleinen Anzeichen nicht wahrnehmen. Doch die Krise ist unnachgiebig, wenn wir sie nicht hören, verschafft sie sich Gehör. Dann ist sie da.

Gibt es eine Musterlösung für den Umgang mit Krisen. Vielleicht, wahrscheinlich nicht. Jeder erlebt diese Zeit individuell und jede Krise hat ihre eigene Dauer. Unterstützung kann helfen, Freunde, Familie, Nachbarn …

Und doch möchte ich zwei Hinweise für das Leben in der Krise geben:

In der Krise sollten wir still werden, in die Stille kommen und hören was in uns ist. Alles was wir zur Bewältigung der Krise brauchen ist bereits in uns angelegt.

Und nimm‘ es an wie es ist. Die Angst, die Trauer, die Ungewissheit, den Zorn, den Tod. Was macht es mit Dir? Was fühlst Du dabei? Male es, schreie es heraus, schreibe es auf, weine laut und leise, lebe den Augenblick in all seiner Tiefe.