Der technische Fortschritt überholt sich selbst. Wer die Ideenplattformen im Internet regelmäßig besucht, der reibt sich manchmal die Augen, ob der Ideen, die dort um Geld werben. Gemacht wird, was möglich ist. Verkauft wird vieles als Must-have. Dir wird suggeriert, mit diesem Ding kannst du endlich der Mensch sein, der du insgeheim gerne sein möchtest. Dein Minimum zum Leben wird maximiert.
Hier eine Werbung für ein neues Produkt.
Werbung oder Zukunftsvision? Heute noch Vision, morgen bereits Realität? Wünschenswerte Zukunft oder ein Leben in Entfremdung? Vereinfacht es dein Leben, spart es dir Zeit?
Der Irrglaube Zeit zu sparen
Eine weit verbreitete Annahme ist, dass Dinge uns Zeit sparen. Das würde bedeuten: je mehr Dinge du besitzt, desto mehr Zeit sparst du. Nein, das ist bei dir nicht der Fall? Im Gegenteil, du hast das Gefühl, dass du mit jedem weiteren Ding weniger Zeit hast?
Die Dinge fangen an, dich zu besitzen:
- Du musst lernen, wie du mit den Dingen umgehst.
- Du braucht Lösungen für den Fall, dass es nicht richtig funktioniert.
- Du brauchst Zeit für das Update …
- Du brauchst Platz, um dieses Ding nutzen können.
- Manch böse Zunge behauptet, nicht wir besitzen die Dinge, nein, sondern die Dinge besitzen uns.
Vor über 2.000 Jahren im Lüshi Chunqui:
»Die Dinge sind dazu da,
dass man sie benutzt,
um das Leben zu gewinnen,
und nicht, dass man das Leben benutzt,
um die Dinge zu gewinnen.«
Doch, warte, bevor du dich vorschnell von zu vielen Sachen trennst. Wer bist du ohne deine Sache, ohne die Dinge?
Diese Frage kann aus zwei Blickwinkeln beantwortet werden.
Wer bist du – für dich – ohne deine Sachen?
Hängt dein Selbstwert davon ab, welche Dinge du besitzt? Nein, natürlich nicht – so die allgemeine Antwort; eine sozial erwünschte Antwort. Dann spielt es für dich keine Rolle, welche Marke auf deiner Kleidung klebt? Welche Automarke du fährst? Welche Handymarke du nutzt?
Wie viel deines Selbstwertes ziehst du aus den Dingen, die du um dich hast? Wenn deine Wohnung vollständig ausbrennen würde, du nur noch hättest, was du am Körper trägst, was würde dir fehlen? Worüber wärst du vielleicht froh, dass es weg wäre?
Das führt zur zweiten Frage.
Wer bist du – für andere – ohne deine Sache?
Wie viel Wertschätzung bringst du jemanden entgegen, der nichts mehr besitzt oder sehr wenig besitzt? Flüchtlinge zum Beispiel oder Menschen, die ihr Hab und Gut in einem Einkaufswagen durch die Stadt fahren. Die meisten Menschen strafen diese Menschen mit der schlimmsten aller Strafen: Sie ignorieren diese Menschen.
Einen Menschen nicht wahr-zunehmen, nicht anzuerkennen in seinem Sein, ihn wie Luft zu betrachten, ist die höchste Form der Abwertung.
Was würde deine Familie, deine Freunde sagen, wenn du dich entscheiden würdest, all deine Sachen zu verschenken? Wie würde sich dein Status für andere ändern, wenn du deinen Besitz radikal reduzierst?
Wer bist du – für andere – und was haben deine Sachen damit zu tun?
Das Minimum zum Leben
Jeder von uns braucht Dinge zum Leben, keine Frage. So unterschiedlich wie wir sind, so unterschiedlich definieren wir das Minimum und das Maximum der Dinge, die wir zum Leben brauchen. Das ist abhängig von dem Land, von der Stadt, von der Straße, von dem Haus, von der Familie, von dem Lebensalter, von der aktuellen Situation.
Wer will hier entscheiden, was für alle das Minimum ist – und wo das Maximum liegt? Keiner kann es für alle entscheiden, jedoch jeder für sich.
Einfaches macht mein Leben wundervoll. Einfach bedeutet für mich:
- Essen selbst zubereitet, kein chemisches Junk-Food
- Wasser und Tee in reinster Form, keine Zucker-Mix-Getränke
- Unterkunft mit Entfaltungsraum, kein Messie-Staubfänger-Schnick-Schnack
- Dinge, die ich selbst reparieren kannst, keine Wegwerf-Mentalität
- Begegnungen getragen von Liebe, keine BlaBla-BussiBussi Konversation
- Arbeiten mit Kopf, Herz und Hand, kein ‚homo oeconomicus‘-Zombie
- Erfolge aus eigener Kraft, keine Abhängigkeit und keine Entfremdung
- Sinnhaft empfundenes Leben, kein seelenloses Mensch-Maschine-Dasein
Frei nach Wilhelm Busch:
»Glück entsteht oft durch Aufmerksamkeit in kleinen Dingen.«
Oder wie hat meine Oma gesagt:
»Nicht viele Dinge machen glücklich, sondern wenige Dinge.«
Im doppelten Sinne richtig. Zu viele Dinge zu besitzen ist der beste Weg ins Unglück. Mich auf ein Minimum zum Leben festzulegen, befreit.
Abschlussfrage
Was brauchst du zum Leben?