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Kannst du im ›Wir‹ dein ›Ich-Sein‹ bewahren?

Die Frage nach dem Sinn des Lebens bereitet manchem große Schwierigkeiten. Darauf folgt eine weitere schwierige Frage: Wer bin ich? Dieses ›Wer bin ich?‹ kennt zwei unterschiedliche Wirkungskreise.

Im ersten Kreis der Schwerpunkt auf dein isoliertes Ich-Sein, deine Art und Weise die Welt zu sehen, deine Werte, deine Ziele, deine Ängste, … Der zweite Wirkungskreis umfasst den Austausch mit anderen Menschen. Du definierst dich in diesem Kreis nicht mehr ausschließlich selbst, sondern wirst von anderen mitdefiniert. Das ›Wir‹ wirkt auf dein ›Ich-Sein‹.

Es wirkt, weil in Beziehungen der Wert einer Eigenschaft neu ausgehandelt wird. Wie gut du Fußball spielen kannst, hängt von der Qualität deiner Mitspieler ab. Der Star in der Kreisliga sitzt in der Oberliga nicht einmal auf der Ersatzbank. Deine Kenntnisse über ein bestimmtes Thema können in einer anderen Gruppe von Menschen uninteressant sein.

Wie schaffst du es trotzdem, im Wir dein Ich-Sein zu bewahren?

»Die Entdeckung des grundlegenden Gutseins ist keine spezifische religiöse Erfahrung. Sie besteht vielmehr in der Erkenntnis, dass wir die Wirklichkeit, die reale Welt, in der wir uns befinden, direkt erleben können und daß wir mit ihr arbeiten können. Die Erfahrung des grundlegenden Gutseins in unserem Leben gibt uns das Gefühl, dass wir intelligente, vollwertige Menschen sind und die Welt keine Bedrohung darstellt.

In diesem Gefühl, dass unser Leben echt und gut ist, haben wir es nicht nötig, uns selbst oder andere zu täuschen. Ganz ohne Schuld- oder Minderwertigkeitsgefühle können wir unsere Mängel betrachten, aber zugleich auch unsere Fähigkeit sehen, das Gutsein auch auf andere Menschen auszudehnen. Wir können geradeheraus die Wahrheit sagen und dabei völlig offen, aber auch unerschütterlich fest sein.«

Chögyam Trungpa

Du kannst die Welt erfahren, du kannst die Welt gestalten. Chögyam Trunpga bezeichnet das als Gutsein. In diesem Zustand ist dein Leben echt, es ist ›dein‹ Leben. In deinem Leben kannst du dein Ich-Sein im Wir bewahren, indem du den anderen ihr Ich-Sein zugestehst.

Dies bedeutet keine fortwährende Harmonie, keine Gleichgültigkeit am Anderen, sondern ein Zu-Sich-Stehen, den Anderen sehen, so wie er ist.

»Wir alle haben Sehnsucht nach einer guten Gemeinschaft, einer intakten Familie, einem sympathischen Freundeskreis, einer Gruppe, einer Gemeinde, einem Verein. Dort erwarten wir, akzeptiert und geschätzt zu werden und ohne Angst und Druck leben zu können. Meine Sehnsucht nach Gemeinschaft darf aber nicht zu einer Flucht vor der Realität werden. Eine Familie, in der keine Probleme benannt werden dürfen, kann schnell zum Gefängnis werden. Ein Freundeskreis, in dem alle nur „nett“ sind und keine Kritik geäußert werden darf, verhindert Leben. Eine Gemeinde, in der „von oben“ vorgeschrieben wird, was die einzelnen zu denken und zu glauben haben, wird schnell zur lebensfeindlichen Sekte. Eine Gruppe, in der immer alles so bleiben muss, wie es einmal war, ist tot.
Eine lebendige Gemeinschaft fördert das Wachstum, die Freiheit und die Lebenstüchtigkeit aller Mitglieder.«

Rainer Haak

Rainer Haak verweist auf die Veränderung, die deinem Ich-Sein zu Grunde liegt. Auf dein Wachstum, auf das Wachstum der Anderen, auf die Veränderung des Wir. Veränderungen können Angst hervorrufen. Gutes vergeht, Probleme entstehen, Krankheiten zeigen sich.

All dies gehört zum Ich-Sein dazu. Ich-Sein ist keine Insel der ewigen Glückseligkeit. Ich-Sein umfasst das erfahrbare, gestaltbare Leben. Ich-Sein bedeutet in Veränderung sein.

Deshalb kannst du dein Ich-Sein nicht bewahren, weder im eigenen Wirkungskreis, noch im Wirkungskreis mit anderen. Du kannst vielmehr wachsen, dich entwickeln, Erfahrungen machen, hinfallen und wieder aufstehen.