Freiheitswillige Menschen

Eine tolle Kolumne von Götz W.Werner:

„Liebe Leserinnen, liebe Leser,

in unseren Unternehmensgrundsätzen haben wir festgeschrieben, dass wir eine bewusst einkaufende Stammkundschaft gewinnen wollen. Dahinter verbirgt sich das Grundrecht auf freie Meinungs- und Willensbildung. Freie Meinungsäußerung ist ohne freie Willensbildung nicht möglich, anders herum verhält es sich genauso.

Die Freiheit zu beidem ist ein Privileg unserer abendländischen Kultur, es war ein langer Weg bis zum heutigen Zustand – die Schweizer haben erst 1971 das Frauenwahlrecht eingeführt. In der Schweiz gab es den Unternehmer Gottlieb Duttweiler, der als Händler vor und nach dem Krieg die Konsumgewohnheiten veränderte. Richtigen Konsum verband Duttweiler immer mit Bildung, er propagierte und förderte den mündigen Konsumenten. Er gründete nicht nur die schweizerische Variante der Volkshochschule, sondern er war auch über Jahre Herausgeber einer der auflagenstärksten Zeitungen.

Erst kürzlich kritisierte einer der erfolgreichsten Werbestrategen der Welt, Amir Kassaei, massiv seine Zunft: „Wir versuchen, Menschen Waren zu verkaufen, die sie nicht brauchen, und erziehen sie dazu, sich durch Konsum zu definieren.“

Sich über Konsum zu definieren, widerspricht dem Grundgedanken des Händlers Gottlieb Duttweiler, der sich wie wir bei dm für bewussten Konsum eingesetzt hat. Genau genommen geht es um unser Menschenbild: Wenn wir Menschen als ergebnisoffene Entwicklungswesen begreifen, dann ist der Konsum Mittel zum Zweck, betrachtet man seine Mitmenschen hingegen als Reiz-Reaktionswesen, also wie zu konditionierende Tiere, dann wird der Mensch zum Mittel, um die Wirtschaft florieren zu lassen.

Wie Gottlieb Duttweiler habe ich mir als Händler diesen Zusammenhang immer wieder klarzumachen versucht mit der Folge, dass wir bei dm unser Marketing nie nur als Werbung, sondern immer auch als eine Art journalistischer Aufgabe verstanden haben.

Es wäre aber vermessen zu glauben, Händler könnten in ausreichender Form und Fülle Informationen und Meinungen verbreiten. Dazu braucht es freie Medien, dazu braucht es ambitionierte Blogger, und dazu braucht es auch Rundfunk- und Fernsehsender, die unabhängig von Werbekunden recherchieren, dokumentieren und berichten können. Tief, umfassend, gründlich und eben keine schnellen und vergänglichen News, bei denen täglich „eine neue Sau durchs Dorf gejagt wird.“

Und es braucht mündige freiheitswillige Menschen, ob als Konsumenten oder als Bürger, die diese Informationen wollen. Es sei immer schwieriger, ein Publikum zu finden, das etwas Neues erfahren möchte, die Menschen wollten viel lieber ihre Vorurteile bestätigt sehen, sagt der Journalist Hans Leyendecker von der Süddeutschen Zeitung. Dieses Problem habe ich als Händler erlebt, als wir in den Achtzigerjahren damit angefangen haben, 

Bioprodukte anzubieten und darüber zu informieren. Auch der Nutzen eines Dauerpreises statt Lockangeboten ist vielen bis heute verschlossen geblieben. Beim nachhaltigen Konsum bin ich aber letztendlich genauso optimistisch wie bei meiner sozialpolitischen Initiative für ein Bedingungsloses Grundeinkommen. Immer mehr Journalisten und Blogger sind bereit, über Neues nachzudenken und zu berichten. Damit sich sinnvolle Informationen verbreiten können, braucht es unabhängige Medien – und eben bewusst lebende und konsumierende (das heißt, die Leistung anderer in Anspruch nehmende) freie Bürger, die sich nur dem Diktat ihrer eigenen Meinung unterordnen.

Herzlichst Ihr

Götz W. Werner“

Aus alverde 05/2013, S. 37

Freiheitswillig, also ein Wille die Freiheit zu gebrauchen. Oder wie sagt Amir Kassaei: „Wir versuchen, Menschen Waren zu verkaufen, die sie nicht brauchen, und erziehen sie dazu, sich durch Konsum zu definieren.“ Wunderbar! Mehr Worte braucht es nicht.