In unserer Kultur funktionieren wir ›weitestgehend‹ über Konkurrenz. Ich GEGEN die Anderen. Warum leben wir in Konkurrenz? Warum glauben wir, dass wir unsere Leben besser, schöner, lebenswerter machen, wenn wir in Konkurrenz zu unseren Mitmenschen denken und handeln?
Wenn du dich fragst, wer du bist, wirst du wahrscheinlich den Vergleich mit anderen zu Rate ziehen.
Du wirst dich fragen:
- Was stelle ich im Vergleich zu Menschen, die ähnliche Startbedingungen hatte (z. B. Mitschüler, Geschwister, Nachbarn, …) dar?
- Wie sehen andere mich und das, was ich erreicht (Güter, Status) habe?
- Habe ich mehr Geld, Dinge, Status als die Menschen, die ich beeindrucken möchte?
- Habe ich mehr oder weniger Freunde auf Facebook als mein Umfeld?
- Habe ich die Erwartungen von anderen an mich erfüllt?
Die negative Variante davon wäre, wenn du dir keine Fragen stellst, sondern negative Selbstaussagen machst:
- Ich bin ein Versager, weil ich … nicht geschafft habe.
- Ich bin einfach zu nichts nutze, dass sagte schon mein Vater.
- Ich hatte einfach Pech im Leben, die Umstände waren einfach nicht günstig.
- Wenn die Anderen nicht wären, dann könnte ich ganz anders sein.
Anstatt dich selbst uneingeschränkt so anzunehmen, wie du bist, vergleichst du dich.
Warum vergleichst du dich eigentlich? Du könntest statt dessen in dich hinein hören, ruhig werden und schauen wie es dir geht – unabhängig von den Anderen.
Du vergleichst dich, weil du geliebt werden möchtest – von den Anderen. Vergleichen gibt dir eine Orientierung, was du glaubst tun zu müssen, damit andere dich lieben. Lieben setzt du mit ›besser sein‹, ›mehr haben‹, ›mehr wissen, ›erfolgreicher handeln‹ gleich.
Eine weitere Ursache für das Vergleichen, neben der Suche nach der Liebe (von außen), ist eine Aufgabe, die in unserer individualisierten Kultur automatisch folgt: Deine Rolle in unserer Gesellschaft selbst finden zu ›müssen‹. Ein ›Ringen um Identität‹ (nach Hegel). Bei diesem Ringen geht es um die Anerkennung unseres Seins durch die Anderen. Diesen ›Kampf um Anerkennung‹ (nach Honneth) führst du durch Vergleiche – so die Hoffnung – bestimmt deine Rolle in der Gesellschaft.
Vor Jahrhunderten war deine Rolle durch deine Geburt festgelegt. Heute bist du für deine Rolle, dein Glück selbst verantwortlich. Glück bedeutet heute, was hast du aus deinem Leben gemacht. Warst du erfolgreich, hast du einen guten Job, hast du eine Familie, hast du ein großes Auto, bist du mindestens einmal im Jahr (besser 2-3 mal) im Urlaub, hast du einen großen Fernseher daheim …? Wer kennt das Brettspiel ›Spiel des Lebens‹? In diesem Spiel sind die Regeln unserer Gesellschaft sehr gut festgelegt. Wir lernen es quasi nebenbei, dass materielle Dinge das Maß aller Dinge sind.
In den meisten Fällen erarbeitest du dir in unserer Gesellschaft deine Position/Rolle über Konkurrenz. Ziel dieses Konkurrenzkampfes ist die Erlangung von Geld zur Befriedigung deiner Bedürfnisse.
Konkurrenz bedeutet, dass du besser sein musst, damit du gute Chancen hast. Und du solltest immer besser als die Anderen sein. Nur die Besten haben die besten Chancen – so das Credo unserer Kultur. Das Beste messen wir oft in Noten, oder an finanziellen Ergebnissen. Gemeinschaftssinn, Wärme, Respekt, Fürsorge für Andere, Verantwortung für sich, sein Umfeld und seine Umwelt zählen so gut wie nicht. Wie erfolgreich du dich in diesem Konkurrenzumfeld bewegst, erkennst du an deinem Marktwert.
Durch deinen Marktwert schaffst du deinen Selbstwert ab. Wundervoll hierzu Erich Fromm, ‚Die Frucht vor der Freiheit‘ (aus dem Jahre 1941!):
»Genauso entfremdet sind die Beziehungen der Menschen untereinander. Es ist, als ob es sich nicht um Beziehungen zwischen Menschen, sondern um solche zwischen Dingen handelte. Am verheerendsten aber wirkt sich dieser Geist der Instrumentalisierung und Entfremdung auf die Beziehung des Menschen zu seinem Selbst aus. Der Mensch verkauft nicht nur Waren, er verkauft auch sich selbst und fühlt sich als Ware. Der Handarbeiter verkauft seine Körperkraft; der Geschäftsmann, der Arzt, der Büroangestellte verkauft seine „Persönlichkeit“. Sie müssen „eine Persönlichkeit“ sein, wenn sie ihre Erzeugnisse oder Dienstleistungen verkaufen wollen. Diese Persönlichkeit sollte liebenswürdig sein, aber ihr Besitzer sollte auch noch eine Reihe anderer Erwartungen erfüllen: Er sollte Energie und Initiative besitzen und was sonst noch seine spezielle Stellung erfordert.
Wie bei anderen Waren ist auch hier der Markt, der über den Wert dieser menschlichen Eigenschaften, ja sogar über deren Existenz entscheidet. Wenn für die Eigenschaften, die ein Mensch zu bieten hat, kein Bedarf besteht, dann hat er sie auch nicht, genauso wie eine unverkäufliche Ware wertlos ist, wenn sie auch ihren Gebrauchswert haben mag. Demnach ist auch das Selbstvertrauen, das „Selbstgefühl“, nur ein Hinweis darauf, was die anderen über einen denken. Es ist nicht „er“, der von seinem Wert ohne Rücksicht auf seine Beliebtheit und seinem Erfolgt auf dem Markt überzeugt ist. Wenn Nachfrage nach jemandem besteht, dann ist er „wer“; wenn er nicht beliebt ist, dann ist er schlechtweg niemand.
Diese Abhängigkeit der Selbstachtung vom Erfolg der Persönlichkeit des Betreffenden verleiht der Popularität ihre ungeheure Bedeutung für den modernen Menschen. Von ihr hängt es nicht nur ab, ob man im praktischen Leben vorankommt, sondern auch ob man seine Selbstachtung behaupten kann oder in einen Abgrund von Minderwertigkeitsgefühlen versinkt.«
Zum Abschluss eine kurze Geschichte:
»Wissenschaftler einer bekannten Universität wollten den Intelligenzquotienten eines Volkes im Amazonas messen. Da sich die Sprache und das Umfeld dieser Menschen über Generationen sehr eigenständig entwickelt hatte, investierten die Forscher viel Zeit in die Erstellung eines guten Tests. Dieser berücksichtigte die Sprache und die Lebensgewohnheiten dieser Menschen.
Als die Forscher bei den Menschen vor Ort den Test austeilten, jeder bekam einen Intelligenz-Test, passierte etwas überraschendes. Die Befragten saßen zusammen und beratschlagten gemeinsam über die Antworten. Die Forscher forderten die Menschen auf, dass doch jeder den Test alleine beantworten sollte, damit individuelle Ergebnisse möglich sind. Da lachten die Menschen, welchen Sinn es den machte dies alleine zu beantworten, wo alle gemeinsam doch sehr viel mehr wissen!«
Warum fällt es uns so schwer zu erkennen, dass wir nach dem Prinzip leben: „Wenn einer gewinnt, dann verliert der Rest!“?
Was wäre, wenn wir nach dem Prinzip denken und handeln würden, dass wir gemeinsam auf dieser Welt leben dürfen, dass wir nur gemeinsam verlieren oder gewinnen können?