Viele Menschen verlernten zu denken. Dabei vergassen sie auch, dass sie einmal denken konnten. Heute wiederholen sie Gedanken, sie leben in dem sie wiederkäuen, was in ihrem Kopf an vorbereiteten Informationen abrufbar ist. Dabei ist denken ein kreativer und wirkmächtiger Prozess des Mensch-Seins.
Quintessenz
- Viele Menschen denken nicht, sondern wiederholen Gedanken aus der Konserve
- Kommunikation ist oft ein gegenseitiges downloaden, langwierig und wirkungslos, reine Zeitverschwendung
- Dabei wird übersehen, dass das Denken das wirkmächtigste Werkzeug des Menschen ist
- Doch der Kampf um das Denken beherrscht jedes System, und jedes System will die Denkvorherrschaft
- „Gefühlt“ fehlende Zeit und die hohe Geschwindigkeit sind zwei Waffen gegen das Denken
- Jede Veränderung beginnt im Kopf, in deinem Kopf
- Wir sollten in der Schule andere Dinge lernen, uns fehlen wichtige Schulfächer. Welche erfährst du hier.
Gedanken kommen zu 90 % aus deiner Konserve
Dein Denken prägt dein Leben. Du denkst am Tag zwischen 60.000 und 70.000 Gedanken. Die meisten davon kennst du bereits vom Vortag. Über 90 % deiner Gedanken sind alt, sie reichen viele Jahre zurück. Du wiederholst sie nur.
Es fehlt dir die Zeit, deine Gedanken wirklich neu zu denken. Ständig lenkst du dich ab. Ständig suchst du den Zeit-Vertreib. Du bist immerzu gehetzt, nie kommst du an, immer bist du auf dem Sprung. Du hast gar keine Chance, die Dinge zu reflektieren, sie neu zu denken.
Bist du ein Downloader?
Wenn jemand etwas schreibt oder sagt, was deinen Gedanken widerspricht, dann fängst du entweder an zu verurteilen (abzuwerten) oder zu ignorieren (nicht wahrzunehmen). Lässt sich eine Konfrontation nicht vermeiden, dann endet dies meist im sogenannten „downloaden“. Du argumentierst im Sinne von „ich habe recht, du hast unrecht“, du hörst dem anderen nicht zu, sondern versuchst deine Weltsicht (mit allen Mitteln) durchzusetzen.
Warum dein Denken wichtig ist!
Unser mechanisches Weltbild misst den Gedanken keinen großen Einfluss bei. Gedanken dienen der Beschreibung der Realität und zur Formulierung der mechanischen Regeln. Denken im Sinne der Weltsicht von Newton, der Beobachter, der die objektive Welt wahr nimmt, die nach klaren Gesetzen funktioniert.
Das deine Gedanken die Welt prägen, die – wie wir seit Einstein wissen – nicht ›objektiv‹ ist, sondern sozial polyvalent konstruiert wird; dies kommt viel zu selten aus unseren Gedanken. Wir lernen Logik, Ableitungen, Gesetze, wie Maschinen lernen wir Texte auswendig. Systematisch lernen wir bereits ‚Gedachtes‘ wieder zu kauen, wieder und wieder.
»Wie man über ein Wesen oder eine Sache denkt, so fühlt man über kurz oder lang auch. Und wie man über es fühlt, so handelt man schließlich auch. Das gilt im positiven, wie im negativen.«
Was wir nicht lernen, ist unseren Kopf zu gebrauchen – wir lernen nicht zu denken. Dabei sind Gedanken eine der wirkmächtigsten Werkzeuge des Menschen. Katharina Wengert beschreibt am Anfang ihres Videos die Wirkmächtigkeit von Gedanken.
Denken ist nicht im Sinne des Systems
Jedes System strebt an sich selbst zu erhalten. Dies gilt für Staatssysteme, ebenso für Organisationen (wie Kirchen, Unternehmen, …) und Gemeinschaften, Gruppen. Dies kann tagtäglich an unterschiedlichen Aktionen (oder nicht Aktionen) beobachtet werden.
Da wirkliches (weil unabhängiges) Denken zu Veränderungen am Status Quo führen, kann Denken die Erhaltung eines Systems gefährden. Doch Achtung, schnell werden solche Freidenker oder Freigeister als Ketzer, Verräter, Radikale (links oder rechts, je nach aktueller Situation) oder Dissidenten beschimpft.
Margaret J. Wheatley treffend:
»No one will give it to you because thinking is always dangerous to the status quo. Those benefiting from the present system have no interest in your new ideas. In fact, your thinking is a threat to them. The moment you start thinking, you’ll want to change something. You’ll disturb the current situation. We can’t expect those few who are well-served by the current reality to give us time to think. If we want anything to change, we are the ones who have to reclaim time to think.«
Deshalb gibt es in Systemen einen Kampf um die Denkhoheit. In unserem System wurde das Denken offiziell in die Universitäten ausgelagert. In Schulen wird gelernt, sie sind Orte der Bildung – nicht Orte des Denken, des kritischen Diskurses. In der Schule wird gelernt, was das System zu dessen Erhalt für wichtig erachtet. Frei nach dem Motto: „Geschichte wird von Siegern gemacht!“
Darüber hinaus gibt es sogenannte Think-Tanks, die jedoch offiziell selten in Erscheinung treten. Think-Tanks sind vom System installierte und geschützte Denk-Räume. Hier darf gedacht werden. Ein denkendes Volk stört einen Think-Tank nur. Flankiert durch zahlreiche Stiftungen (wie die Bertelsmann-Stiftung oder die Stiftungen der Parteien). All diese Organisationen übernehmen das wirkliche Denken, damit die Zukunft so wird, damit sich die aktuellen Systeme erhalten.
Zeit und Geschwindigkeit als Waffen gegen das Denken
Das effektivste Mittel im Kampf um die Denkhoheit ist Zeit. Nimm den Menschen die Zeit, selbst zu denken. Nimm den Menschen die Zeit, zu reflektieren. Nimm den Menschen die Zeit, gemeinsam zu denken. Und wenn ich mich hier umschaue, wenn ich aktuell mit Menschen spreche, dann beklagen alle die fehlende Zeit.
»Normalerweise ist es ja so: Erst haben wir keine Zeit für uns wegen der Schule, dann keine Zeit für die Partnerschaft wegen der Ausbildung, dann keine Zeit für Kinder wegen des Berufs, dann keine Zeit für den Beruf wegen der Kinder … . Wir lassen uns ausbilden, dann auspressen, und erst, wenn wir uns aussortieren lassen, kommen wir wieder zu uns.«
Im Gegenteil, nicht nur die „gefühlt“ fehlende Zeit, wird beklagt. Gleichzeitig wird dies verstärkt durch die Mode, dass alles schneller und schneller erledigt werden muss. Geschwindigkeit ist einer unserer obersten Götter. Je schneller jemand etwas schafft, desto besser.
»Heute sind sehr viele Menschen in einem sehr engen Korsett gefangen – meist beruflich bedingt, meist durch Verpflichtungen, die man in irgendeiner Form eingegangen ist. Und die Möglichkeit in dem Sinne dann auch frei zu denken, in Form dessen, sich frei zu artikulieren (…) da tun sich manche Menschen sehr, sehr schwer, hier aus diesem immer engmaschiger werdenden Zaun auszubrechen.«
Doch Denken braucht Zeit, Entschleunigung. Denken braucht die Ruhe, die Stille, das Wirken-Lassen, das Sich-Setzen-Lassen, das Rum-Spinnen, das Nach-Klingen. Der einzige Weg, sich die Zeit zu holen, die das Denken braucht, ist es zu tun. Niemand wird dir die Zeit dafür freiwillig geben. Kurioserweise glauben wir gerade bei der Zeit, dass sie so knapp ist – obwohl nichts auf der Welt jeden Tag so gerecht verteilt ist. Jeder hat 24 Stunden Zeit am Tag. Jeder!
Veränderung beginnt in deinem Kopf
Mit der Zeit zum Denken, Zeit zum Reflektieren beginnt die Veränderung. Dein zweiter Schritt ist die Veränderung des Denkens. Da fällt mir ‚Achte auf Deine Gedanken‘ ein, wunderschöne Zeilen.
»Achte auf deine Gedanken,
denn sie werden deine Worte.
Achte auf deine Worte,
denn sie werden Handlungen.
Achte auf deine Handlungen,
denn sie werden Gewohnheiten.
Achte auf deine Gewohnheiten,
denn sie werden deine Charakter.
Achte auf deinen Charakter,
denn er wird dein Schicksal!«
Denken als Prozess des Schaffens von Realitäten, denken als Prozess der eigenständigen Art und Weise die Welt zu konstruieren, denken als Prozess bestehendes in Frage zu stellen, denken als Prozess die Widersprüche, die Vielfalt in der Welt zu erkennen – das brauchen wir. Das ist ein Denken, welches die Augen öffnet für die vielen Beeinflussungen durch unsere Gedanken. Ein Leben als Freigeist.
Veränderung passiert nicht, wenn du andere zu verändern antreibst, wenn du versuchst die Probleme außerhalb von dir zu verorten. Wenn du nicht Teil des Problems bist, dann bist auch nicht Teil der Lösung! Fange bei dir an – oder akzeptiere deine Welt. Verändere dein Denken, dass verändert deine Welt.
Welche Schulfächer uns fehlen
Doch die Menschen, die unsere Schulpläne machen, setzen weiterhin auf der Wiederholung von bereits Gedachtem. Wir lernen rechnen, wir lernen zu wiederholen, wir lernen nicht denken! Denken als Schulfach kommt kaum vor. Welches Schulfach bräuchten wir, damit die Menschen wieder selbst denken lernen?
Hier eine kurze Liste möglicher Schulfächer, die wir dringend brauchen:
- Wie verwirkliche ich meine Träume?
- Wie entwickle ich Selbstachtung, Selbstverantwortung und Selbstliebe?
- Was ist mir wirklich wichtig im Leben?
- Wie kann ich das Glück in meinem Leben fördern?
- Welche Bedeutung hat Geld in meinem Leben?
- Wie gehe ich mit der Unsicherheit im Leben um, wie mit Angst?
- Wie mache ich positive, bereichernde, stärkende Erfahrungen?
- Welche Wege nutze ich, um in meine Mitte zurückkommen zu können?
- Wie gehe ich mit Niederlagen, Rückschlägen um?
- Wie gehe ich mit Komplexität und Unsicherheit in meinem Leben um?
- Wie gehe ich mit Ambivalenz, Paradoxien um?
- Wie lerne ich kritisch zu denken, zu hinterfragen, zu diskutieren – ohne respektlos zu sein?
- Wie kann ich Zusammenarbeit mit anderen wirksam gestalten?
- Wie erhalte ich meine Kreativität, trotz allen Lernens?
- Wie kann ich auf mein Herz hören, und trotzdem mit anderen verbunden bleiben?
Abschlussfrage
Denkst du schon – oder wiederholst du bereits Gedachtes?